Immer wieder ergeben sich in den Diskussionen der autonomen Linken drei grundsätzliche Probleme: Erstens das Fehlen konkretisierter Ideen und linker gesellschaftlicher Alternativen. Zweitens die bewusste Nichtformulierung alltäglich und realistisch zu erreichender Ziele und drittens die fehlende Verankerung und Organisierung in Betrieb, Stadtteil, Schule, Uni etc. Wir brauchen einen Bruch mit der bisherigen linken Kultur der letzten Jahrzehnte, die getragen ist von Arroganz, Elitarismus und dem Hass auf ArbeiterInnen, wenn wir die Irrelevanz der radikalen Linke überwinden wollen.
Basisorganisierung als Grundpfeiler eines revolutionären Aufbauprojekts
Die radikale Linke hat ein Problem damit, grundlegende Ideen zu formulieren, welche verständlich und vermittelbar sind. Das Problem fängt bei den meisten schon damit an, Ideen zu formulieren welche auch außerhalb der eigenen kleinen Gruppe auf Interesse stoßen. Aber genau dies ist eine Grundlage gesellschaftlicher Wirkungsmächtigkeit. Es kann kein revolutionäres Gegenprojekt geben ohne einen realistischen Gegenentwurf zum Bestehenden.
Dabei geht es nicht darum die emanzipierte Gesellschaft zu planen, was zweifelsfrei unmöglich ist, aber darum gewisse Entwürfe zu zeichnen. Grundlegende Ideen zur Neugestaltung der Gesellschaft, die der Analyse und Kritik der bestehenden Herrschaft und Unterdrückung folgen, müssen geschaffen werden um einen Großteil der radikalen Linken zu einem gemeinsamen revolutionären Projekt zu vereinen.
Als Grundlage solch eines Projekts dient auch weiterhin die von der radikalen Linken so oft beschworene und kaum belebte Idee der Basisorganisierung. Ab und zu klappt es zwar, kleine Gruppen an Unis1 zu gründen, ein paar Gleichgesinnte im Betrieb zu finden oder die NachbarInnen zum gemeinsamen Vorgehen gegen den/die VermieterIn zu bewegen. Selten jedoch werden solche widerständigen Regungen durch linksradikale Gruppen unterstützt oder geschaffen. Eine große Anzahl an Gruppen ist längst zu realitätsverweigernden isolierten Zellen verkommen.
Zu unserem Glück fängt Basisorganisierung nicht in der eigenen politische Gruppe an, sondern im Alltag, dort wo wir arbeiten, wohnen, lernen und feiern. An all den Orten, an denen wir uns begegnen und uns gemeinsam arrangieren oder, besser gesagt, organisieren müssen. Die Basis der Gesellschaft, das sind die Betriebe (Produktion von Gütern), die sozialen und medizinischen Einrichtungen (Bereitstellung von Dienstleistungen), Schulen und Unis (Erziehung und Bildung der Gesellschaft), Kulturstätten (Kulturelles Leben der Gesellschaft) und der öffentliche Raum.
Zu diesen kommen die Orte der Pflege und Reproduktion hinzu, welche in der jetzigen Gesellschaft patriarchal bestimmt sind. Diese Orte sind auch die bürgerlichen Familien, welche durch die Befreiung der Frau und den Kampf gegen das Patriarchat abgelöst werden müssen. Auch in diesen diffuseren Orten gibt es konkrete Möglichkeiten der Basisorganisierung2.
Im Hier und Jetzt sind die meisten dieser Orte nicht Allgemeingut sondern sie sind in Besitz und unter Kontrolle des Staates, der Konzerne, der religiösen Vereinigungen und diverser Einzelpersonen, kurzum, sie sind Eigentum. Hier offenbart sich der Widerspruch zwischen Freiheit und Unterdrückung, zwischen Demokratie und Fremdbestimmung.
Die Organisierung der Basis ist schon deshalb Hauptbestandteil vernünftiger revolutionärer Politik, weil nur ein gesellschaftlicher Aufbau von Unten nach Oben (im Gegensatz zu Staats- und Klassenherrschaft) tatsächlich demokratisch und somit emanzipativ ist. Die Rückeroberung (Vergesellschaftung) dieser Orte und der Allgemeingüter, sowie auch der (Re-)Produktionsmittel, ist somit gleichbedeutend mit der Wiederaneignung des politischen Denkens und Handelns. Warum auch sollte ein Chef über die Arbeit bestimmen die wir doch am besten können? Wieso sollte jemand im Staat oder in der Stadtverwaltung über eine Stadt oder eine Straße bestimmen, die sie doch nicht einmal bewohnen? Dasselbe gilt auch für die/den VermieterIn. Basisorganisierung ist der erste Ansatzpunkt zur Lösung der oben genannten Widersprüche zugunsten einer freien menschlichen Gesellschaft.
Das Ziel von Basisorganisierung ist also Selbstermächtigung im kollektiven Maßstab. In der Konsequenz ist ein solcher revolutionärer Aufbau stets der Aufbau von Gegenmacht, die dazu dient, die Widersprüche zu Gunsten der einen oder anderen Seite im Kampf um die Gesellschaft aufzulösen. Ziel autonomer Politik muss es sein, solche Basisinitiativen und widerständigen Regungen zu schaffen oder zu unterstützen und mit antikapitalistischer, feministischer und antirassistischer Theorie zu unterfüttern und sie auszubauen. Autonome Gruppen sollten hierbei der weitergehende Ort der Organisierung sein, in welchem sich sowohl Einzelpersonen, als auch ganze Basisinitiativen zu einer allgemeinen revolutionären Politik, Theorie und Strategie zusammenschließen.
Die Selbstzerstörung der radikalen Linke
Das Problem, welches die (Post-)Autonomen haben, ist, dass sie durch Jahrzehnte der Selbstisolierung auf Grundlage theoretischer Verwahrlosung kaum mehr fähig sind sich innerhalb der Gesellschaft als politisch handelnde Subjekte zu bewegen. Notwendig wäre es jedoch, dass politisch und organisatorisch geschulte AktivistInnen fähig sind innerhalb ihrer eigenen Lebensrealität und ihres Umfeldes die Möglichkeiten zu Basisinitiativen wahrzunehmen. Die gezielt aus dem akademischen Diskurs vorangetriebene Entwicklung des Klassenhasses auf die ArbeiterInnen und die damit einhergehende elitäre, arrogante Kultur eben jener, welche diese Diskurse fördern, zersetzen und lähmen die gesamte Linke. Der linke ArbeiterInnenhass ist die Suche nach dem Schulterschluss mit dem liberalen Bürgertum und macht damit rechte Scheinalternativen attraktiver.
Diesem Problem kann nur entgegengetreten werden, indem sich die radikale Linke selbst reinigt von bürgerlichen akademischen Ideen, welche Klassenhass und elitäres Denken fördern. Die radikale Linke muss mit der Kultur der letzten 30 Jahre brechen und auf ihrer theoretischen Erneuerung aufbauend eine neue Kultur schaffen. Logischerweise werden und können die Subjekte, welche diesen Bruch vollziehen, nur die organisierten ArbeiterInnen in der radikalen Linken3 sein.
An euch ist dies ein Aufruf, sich selbst verstärkt politisch zu bilden und innerhalb der radikalen Linken eine starke gemeinsame Fraktion zu bilden. Nicht um einen falschen Klassenstolz zu propagieren, wie zu oft der falsche Umkehrschluss ist, aber um destruktiven Verhaltensweisen und schädlichen ideologischen Konstrukten in der Linken den Riegel vorzuschieben. Dies wäre eine notwendige große Auseinandersetzung innerhalb der Linken, um tatsächliche Klassenorganisierung und damit dir Möglichkeit zu antikapitalistischer Politik voranzutreiben.
Erst wenn dies passiert und ein Erneuerungsprozess in Kraft getreten ist und die ideologischen Verblendungen rein akademischer Diskurse (ohne Realitätsbezug) minimiert werden, wird es wieder möglich sein die eigenen Bedürfnisse im Kontext gesellschaftlicher Totalität zu erkennen. Das bedeutet, sich selbst zu finden, innerhalb der gesellschaftlichen Widersprüche des Kapitalismus und somit für sich und seine Mitmenschen selbst Initiative ergreifen zu können. Wir sollten uns nicht nur fragen, wie wir die anderen organisieren, sondern, wie wir selber wieder zu politischen Subjekten werden. Erst wenn wir uns strategisch aufstellen, als politische Subjekte, wird es möglich sein innerhalb der eigenen Lebensrealität, sei es im Betrieb, Büro, der Uni oder dem Stadtteil, wieder wirkungsmächtig zu werden.
Von der Idee zum konkreten Ziel
Ein weiteres Problem ist, dass es an utopischen gesellschaftlichen Ideen mangelt, Ideen einer menschlichen Zukunft. Wir brauchen solche Ideen als notwendige Tagträumerei. Utopische Ideen sind Triebkraft und zugleich Anker für das menschliche Denken. Sie führen uns vor Augen was sein könnte, was es zu erreichen gilt und festigen dabei unseren Stand in der traurigen Realität des Kapitalismus. Diese Träume und Ideen sind wichtig, weil wir sie vermitteln können als real zu erreichende Ziele.
Solche Ideen können dann real erreicht werden, wenn die materiellen Begebenheiten dafür existieren. Sie vermitteln sich über konkrete Ansatzpunkte im Alltag. Klassenkämpferische Politik im Betrieb zum Beispiel bleibt erfolglos, wenn sie nicht anhand der real existierenden materiellen Grundlagen formuliert wird. Es mag zwar nett sein, den ganzen Tag von der sozialen Revolution zu schwärmen, meist ist es aber erfolgversprechender, konkrete Ziele zu formulieren und anhand derer die KollegInnen zu organisieren. Seien es die kaputten Toiletten oder die jährliche Lohnerhöhung. Solche Kämpfe müssen immer wieder geführt werden. Um die Politisierung von KollegInnen weiter zu entwickeln, müssen dabei die konkreten Ziele wieder auf eine abstrakte Ebene geführt werden um somit antikapitalistische Ziele und Denkweisen zu vermitteln. Vom Abstrakten zum Konkreten und wieder zurück.
Der Aufbau von Gegenmacht und revolutionärer Organisation ist kleinteilige, anstrengende und alltägliche Arbeit, deren Erfolg sich erst nach langer Zeit zeigt. Er ist ein Gegenkonzept zur linksradikalen Kampagnenpolitik4.
Der Weg zu einer freien kommunistischen Gesellschaft ist langwierig und muss strategisch organisiert werden. Nur dauerhafte und feste Organisationsansätze sind in der Lage, strategisch Kämpfe zu verbinden und zu unterstützen und die erreichten Ziele für die soziale Revolution zu verbuchen.
Autonomie auf- und ausbauen
Autonome Organisierung ist die Lehre aus dem Dogmatismus und dem Sektierertum der Marxisten-Leninisten. Die Aufgabe, die Revolution zu machen, schreibt der Marxismus-Leninimus, den ProletarierInnen in der streng und hierarchisch organisierten Partei zu. Als Autonome müssen wir diesen Gedanken auch in der Zukunft ablehnen und bekämpfen. Der Aufbau revolutionärer Räte, in welche, in der revolutionären Phase der Gesellschaft, die Basisorganisierung aufgehen muss, um Staat und Kapital als organisierende und kontrollierende Kraft der Gesellschaft zu ersetzen bzw. zu zerschlagen, ist durch eine Parteienherrschaft, welche bereits in der Geschichte die Diktatur des Proletariats durch die Diktatur der Partei ersetzt hat, gefährdet. Nur die demokratische Autonomie innerhalb der Basisorganisierung kann zum Grundstein rätedemokratischer Prinzipien führen.
Wie oben bereits erwähnt kann nur die Organisierung der Gesellschaft von Unten nach Oben in basisdemokratischen Räten dauerhaft Demokratie und Emanzipation gewährleisten, weil nur sie es ermöglicht, die das eigene Leben betreffenden Probleme selbst in die Hand zu nehmen. Alle jetzigen Projekte sind logischerweise dementsprechend zu gestalten.
Basisorganisierung und Autonomie sind also Grundpfeiler revolutionärer Politik. Um aber endlich wieder eine Politik zu entwickeln, die auch die Fähigkeit besitzt Wirkungsmächtigkeit zu entfalten, brauch es zuallererst einen Bruch mit der zeitgenössischen Linken und ihrer Kultur. Es braucht einen „proletarischen“ Diskurs, der aufräumt mit den falschen Ideologien in der radikalen Linken. Grundlage für solch einen Diskurs muss die Fraktion der ArbeiterInnen innerhalb der radikalen Linken sein, welche ein gewisses Klassenbewusstsein entwickelt und es konsequent verteidigt gegen die aus den Universitäten organisierten Angriffe.
1Gegenbeispiel ist die neu gegründete Hochschulgewerkschaft Unter_Bau in Frankfurt. Sie ist sowohl Basisorganisierung von Putzkräften als auch des wissenschaftlichen Personals. Sie ist auch Gegenbeispiel zum Punkt der Nichtformulierung von zu erreichenden Zielen. Mehr unter: https://unterbau.org/
2siehe Strike4repeal (http://strike4repeal.org/). Eine aus Irland stammende Plattform, welche sich zum Ziel setzte, am internationalen Frauenkampftag zu einem sozialen Streik Frauen auf die Straße zu mobilisieren, um das irische Abtreibungsverbot zu kippen.
3siehe „Proleten, Pöbel, Parasiten. Warum die Linken die Arbeiter verachten“, von Christian Baron, 2016. http://www.christian-baron.com/
4siehe „11 Thesen zu sozialen Kämpfen“, Basisgruppe Antifaschismus Bremen.
http://basisgruppe-antifa.org/wp/thesen-zur-strategie-in-sozialen-kaempfen-2016/