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Diskussion

Gedanken zu einem Kongress der Kommunen

Im Februar und April diesen Jahres hat das Lower Class Magazine in zwei Beiträgen1 daür plädiert, die Debatte um eine Neue Klassenpolitik nicht von der tatsächlichen Bewegung zu trennen, und dass diejenigen Organisationen/Gruppen, welche mehr oder weniger bewusst bereits die Debatte in ihrer alltäglichen Politik umsetzen, sich mit einer eigenen gemeinsamen Erzählung der Gegenwart, gegen die zwei hegemonialen Erzählungen – der des “progressiven Neoliberalismus“ und der des „reaktionären Populismus” – als revolutionäre Alternative stellen müssen.

Die GenossInnen plädieren für einen Kongress der Kommunen2, indem sich verschiedene bereits existente Politikansätze zu einem neuen Projekt zusammenfinden sollen.

Nun ist die Frage, wie so etwas ausschauen kann und welchen Prinzipien so eine Organisierung folgen müsste. Die Proletarische Autonomie Mageburg/ Finsterwalde, erwägt in ihrem Debattenbeitrag3, dass eine neue Organisierung erst der dritte Schritt wäre, und das davor eine neue sozialrevolutionäre Bewegung ein organisches Wachstum auf Basis des Plattformformismus- Gedankens schaffen müsste. So eine Plattform soll Kristallationspunkt der Ausweitung proletarischer Autonomie und Selbstorganisierung in allen Bereichen und auf allen Ebenen des Lebens sein. Sie plädieren dafür, dass verschiedene Gruppen mit verschiedenen ideologischen Ausrichtungen zusammen kommen sollen. Hier dürften wir auf den ersten Knackpunkt der Debate stoßen, denn die (radikale) Linke ist durchzogen von Sektierertum. Gegen diesen Zustand kann man viel argumentieren, bringen wird dies aber wenig. Das Einzige was hilft ist die eigene Überheblichkeit und Arroganz zu reflektieren und über Bord zu werfen. Keine Gruppe hat DIE richtige Antwort auf die Fragen der Zeit oder DEN richtigen Strategieansatz. Revolution ist nie die Sache der einen richtigen Linie und Partei gewesen. Aber wir können voneinander lernen und somit stärker werden. Wenn wir diesen Fakt verinnerlicht haben, sind wir fähig über das Sektierertum hinaus zu denken wodurch sich neue Perspektiven und Horizonte erblicken lassen. Für ein organisches Wachstum muss der eigene kleine Rahmen verlassen werden, denn wer sein ganzes Denken in einem Dorf gefangen hält, dürfte kaum wissen wie eine U-Bahn funktioniert.

Ein weiteres Problem vor dem gewarnt sein muss, ist der Optimismus bezüglich der Klassenkonflikte welche uns das neoliberale Paradigma beschert. Ja es ist richtig: Der Antagonismus scheint wieder sichtbarer zu werden und Teile der ArbeiterInnenklasse sind wieder für Klassenpolitik ansprechbar. Wir leben aber immer noch in einem Zentrum des imperialistischen Wohlstands, welcher weite Teile der Bevölkerung vereinnahmt und zu VerteidigerInnen der Nation (des Klassenkompromisses) macht. Doch genau dort kann unsere Erzählung auch ansetzen, denn die sozialistischen Bewegungen waren nie welche, die den ArbeiterInnen einfach nach dem Mund geredet haben, sondern sie haben sie stehts herausgefordert und versucht durch Bildung und Aufklärung zu “besseren Menschen”4 zu machen. Eine neue Organisierung (wir unterscheiden zwischen Organisierung als organischer Prozess und Organisation als mehr oder weniger fertiges Konstrukt) muss also nicht nur Kämpfe von ArbeiterInnen, MigrantInnen, Frauen etc. führen, begleiten und solidarisch unterstützen können, sondern auch, die eigene Basis die dadurch entsteht, politisch – und meiner Ansicht nach naturwissenschaftlich – schulen. Dieser Prozess ist insbesondere wichtig, weil, die Art und Weise der Bildung, den Unterschied ausmachen kann zwischen der Perspektive, zentralistischer, autoritärer Strukturen einerseits und undogmatischer, sozialrevolutionärer Strukturen andererseits. Die Frage ist, ob unsere Politik darauf ausgelegt sein soll, Karteileichen zusammeln und uns auf deren Schultern an die Macht zu setzen oder durch eine Massenbewegung, mit zahlenmäßig hohem Anteil an selbstermächtigten und zu Autonomie5 befähigten Menschen. Ich plädiere für zweites, da nur auf Grundlage der Mündigkeit die Perspektive einer staatenlosen, von Unterdrückung und Ausbeutung befreiten Gesellschaft tatsächlich verwirklichbar ist. Man darf nur nicht so naiv sein zu glauben, dass Revolution bedeutet, dass plötzliche alle Menschen aufgeklärt sind und wir aufeinmal ins “Reich der Freiheit” eintreten.

Bereits in den Beiträgen des Lower Class Magazine und der Proletarischen Autonomie wird angerissen, dass es gemeinsam geteilte Standpunkte braucht. Hierbei laufen Prozesse oft Gefahr sich jahrelang in Diskussionen zu verstricken, welche versuchen bis aufs Nano-Level eine Sache auszudiskutieren – eine Unart von Theorie- FetischistInnen. Meistens scheitern genau diese Prozesse (NaO) an den zähen Diskussionen, da wiederum die Zeit und Grundlage für die tatsächliche Praxis fehlt und sich die verschiedenen Akteure untereinander zerreiben. Wesentlich vernünftiger hat die interventionistische Linke diesen Prozess begangen und sollten wir diesen Prozess begehen. Er muss auf Grundlage der Praxis passieren und genau das schlagen ja LCM und PAM bereits vor. Zu verschiedenen inhaltlichen Punkten müssen knappe aber wesentliche (aussagekräftige) geteilte Standpunke gefunden werden, in dieser Phase wird sich erstmals entscheiden, wer dabei bleibt oder sich bald wieder aus dem Prozess verabschiedet. Parallel zu diesem Prozess müssen verschiedene geteilte Prinzipien geschaffen werden, hier herrscht Erfahrungsgemäß weniger Uneinigkeit. Antiautoritär oder nicht, undogmatisch oder nicht basisdemokratisch oder zentralistisch? In den verschiedenen Beiträgen lassen sich dazu meist die gleichen Ansätze finden, was sicherlich auch Resultat dessen ist, dass nach den verschiedenen bundesweiten Organisationsansätzen nur noch wenige Organisationen/Gruppen übrig sind welche sich aus bestimmten Gründen eben diesen nicht angeschlossen haben.

Die verschiedenen Beiträge zur Organisierung lassen sich einfach zusammenbringen. Die Frage ist nur, wie nun die Schaffung eines solchen Kongress der Kommunen von statten gehen soll. Unterteilen wir den Anfangsprozess in verschiedene Phasen, um ihn sichtbar zu machen:

  1. Austausch über Perspektiven und Möglichkeiten, eine Debate führen, sich kennenlernen und verabreden. In dieser Phase befinden wir uns gerade. Vor den erwähnten Beiträgen von LCM und PAM, haben auch schon das Autonomie Magazin6, das Kollektiv Bremen7 und das Komitee für eine revolutionäre Perspektive8 (längere) Beiträge zur Kritik und Neuausrichtung linksradikaler Politik und Basisarbeit verfasst. Diese Ideen müssen jetzt miteinander in Einklang gebracht und etweilige Differenzen geklärt werden.
  2. Zusammenkommen, gemeinsame Grundsätze, Standpunkte, Prinzipien etc. schaffen. Diese Phase ist mit aufwendigen Diskussionen und Verfahren sicherlich ein bisschen mühselig, hier gilt es besonders zu beachten, dass es nicht darum geht stur den eigenen kopf durchzudrücken, sondern einen gemeinsamen Prozess zu führen, an dem erstmalig konkretere Bindungen zwischen den Organisationen entstehen. Wie Oben erwähnt müssen Diskussionen auf Nano-Level vermieden werden. Tiefere geteilte Standpunkte können nicht aus dem Nichts heraus erzwungen werden, sondern sind Ergebniss langjähriger Entwicklungsprozesse.
  3. Sich austauschen über die eigene Geschichte, die Situation vor Ort, die eigene politische Arbeit. Später kann ein solcher Austausch vertieft werden z.B. damit Gruppen die ähnliche Arbeit leisten sich gegenseitig bestärken und voneinander lernen können. Im Gesamtprozess sollten bereits die ersten Grundlagen einer Erzählung auftauchen.
  4. Folgen wir dem Vorschlag des LCM, dass so eine Kommune auf lokaler wie auf bundesweiter (bestenfalls intergalaktischer) Ebene der Zusammenschluss der vier vom LCM genannten Ansätze ist, heißt das konkret, dass alle Beteiligten den Auftrag haben ein mapping zu erstellen. Wen gibt es vor Ort, mit dem so ein Prozess angestrebt werden kann, wie den Prozess auf die Stadt übertragen, andere in der Stadt ansprechen, überzeugen etc.? Notwendigerweiße, kann dieser Schritt nach außen, nur erfolgen, wenn die Grundsätze, Prinzipien usw. geklärt und verschriftlicht sind, den sie bilden die Grundlage, um den Prozess im “großen Stil” weiterzuführen.
  5. Die gemeinsame Praxis und Kampagnen gestalten. Diesen Punkt lasse ich mehr oder weniger offen, da sich kein genauerer Vorschlag machen lässt ohne nicht die Bedingungen der Gruppen und des Prozesses zu kennen. Sagen lässt sich aber das dort wo verschiedene Praxen bereits am Werk sind und wirken, Austausch geschaffen werden muss. Organischer Prozess heißt, dass sich die Dinge langsam angleichen werden. Basisaktivitäten verschiedener Städte müssen vernetzt werden um Kämpfe über die Stadt hinaus führen zu können. Die historische Notwendigkeit verlangt auch, dass wir versuchen müssen antifaschistische und antirassistische Aktivitäten und Kämpfe gegen Rechtsruck, Abschottung und gegen den Ausbau der Sicherheitsarchitektur des Staates jetzt zusammen zu führen9.

Wie in der Aufzählung bereits sichtbar wird, können die Phasen nicht einfach voneinander getrennt werden, vielmehr sind sie “Blaupausen”. Sie gehen ineinander über und verlaufen parallel. Das bedeutet es nunmal einen organischen Prozess zu führen. Mechanisches Denken führt schnell in die Sackgasse und sowie wir einen Kongress der Kommunen aufbauen müssen, der flexibel und handlungsfähig ist, so müssen wir auch mit den Problemen und Hürden umgehen können welche uns auf diesem Weg begegnen. Das Primat ist die Praxis, ohne sie bleibt jeder politische Ansatz welcher die Realität ändern möchte im luftleeren Raum hängen. Ein gemeinsamer Kampf gegen den autoritären Ausbau des Staates tut Not, da unser Gegner sich jetzt schon auf die kommenden Unruhen – welche zweifels ohne durch die sozialen Verheerungen entstehen können – vorbereitet, in dem er uns präventiv, Stück für Stück jede Möglichkeit der (legalen) politischen Betätigung raubt.

Im Kongress der Kommunen muss es aber auch um mehr gehen als nur darum zusammenzukommen und eine neue bundesweite Organisation aufzubauen. Es geht um ein neues Verhältnis der radikalen Linken zur Welt, zu den NachbarInnnen und KollegInnen. Es muss um den tatsächlichen Aufbau von Kommunen und Räten (autonomen Selbstverwaltungsstrukturen) auf der lokalen Ebene gehen, welche dann in einem Dachverband zusammenkommen – eine radikal demokratische Alternative zum Nationalstaat. Alle die so einen Prozess begehen wollen muss von Anfang an eines einen: der Wille ein gemeinsames revolutionäres Projekt zu schaffen, welches einen Gegenpol gegen die kapitalistische Moderne,seine Kultur und Art zu denken, das Patriarchat, die Klassenherrschaft, den Rassismus und den imperialistischen Zugriff auf die Welt organisieren kann. Es ist nur eine Frage des politischen Willens, ob wir bereit sind in einen Prozess der Selbstreflexion zu gehen, um der Frage nach einer Neuausrichtung linksradikaler Politik gerecht zu werden.

Von: Vidar Lindström (@LindstromVidar)


1http://lowerclassmag.com/2018/02/vom-reden-zum-tun/
2http://lowerclassmag.com/2018/04/kongress-der-kommunen/
3https://www.autonomie-magazin.org/2018/05/09/diskussionsbeitrag-neue-sozialrevolutionaere-bewegung/
4https://geschichtedergegenwart.ch/neue-menschen-oder-jubelmasse-die-rechte-die-linke-und-die-kleinen-leute/
5Sehr treffende Formulierungen warum dies wichtig ist, finden sich in Theodor W. Adornos Beiträgen welche in “Erziehung zur Mündigkeit – Vorträge und Gespräche mit Hellmut Becker 1959 bis 1969” gesammelt sind.
6https://www.autonomie-magazin.org/2017/04/03/die-radikale-linke-muss-mit-sich-selbst-brechen/
7https://de.indymedia.org/node/9708
8https://de.indymedia.org/node/21195
9Praktisch kann dies bereits im November umgesetzte werden, wenn viele verschiedene Gruppen gemeinsam in Magdeburg gegen die dort stattfindende Bundesinnenministerkonferenz auf die Straße gehen. Mehr Infos unter: https://unheimlichsicher.org/