Über die Wahlen, den Rechtsruck und eine linksradikale Gegenstrategie. Ein Aufruf zur Konfrontation!
Es liegt noch ein spannendes Jahr vor uns: In Frankreich und Deutschland werden die Menschen mal wieder gefragt, von wem sie regiert werden wollen. In beiden Ländern besteht die Gefahr, dass neofaschistische Parteien (Front National und AfD) an Macht gewinnen. In Frankreich ist eine Regierungsbeteiligung des Front National realistisch. Hierzulande wird die AfD wohl mindestens den Sprung in den Bundestag schaffen. Was sollen wir dagegen tun? Sollten uns die Wahlen als radikale Linke nicht irgendwie ziemlich egal sein, weil sich dadurch ja doch nichts ändert? Oder gibt es Möglichkeiten das Spektakel auch für uns nutzbar zu machen? Soll man mit AfD-SympathisantInnen reden? Bringt das was?
Dies soll ein Aufruf sein, in die Konfrontation zu gehen und seine eigenen Art und Weise, auf Menschen zu zugehen zu hinterfragen.
Warum Wahlen unwichtig sind
Die Wahlen in einer parlamentarischen Demokratie wie der BRD sind, was die Durchsetzung der Interessen der unteren Klassen betrifft, ziemlich unwichtig. Es geht nur darum, von wem wir regiert werden. Niemand fragt uns, ob wir überhaupt regiert werden wollen und wie das Ganze aussehen soll. Wir können nur auswählen zwischen größeren und kleineren Übeln, etwa zwischen der neofaschistischen AfD, einer auf andere Art und Weise tödlichen Politik Angela Merkels; zwischen SPD und Grünen, die sich kaum noch von der CDU unterscheiden oder der Linkspartei, die als einzige Partei vielleicht noch wählbar ist. Wenn Angela Merkel also immer von „alternativlos“ spricht, wenn sie die nächste Schweinerei begeht, dann beschreibt sie damit auch den Wahlzirkus ziemlich gut. Für uns spielt es keine große Rolle welche der großen Parteien uns regiert, weil niemand den neoliberalen Konsens durchbrechen kann oder will. Die Parteien, die dies noch versuchen scheitern regelmäßig, zuletzt besonders kläglich die Syriza in Griechenland und auch die Linkspartei in verschiedenen Landesregierungen. Es ist linken Parteien schon lange nicht mehr möglich, auch wenn sie es wollen, die Interessen der „kleinen Leute“ durchzusetzen, wenn sie sich an einer Regierung beteiligen. In der BRD ist es zudem nicht möglich zu regieren, wenn man gegen Krieg ist. Krieg gehört, genauso wie der Mord an Geflüchteten durch Abschottung und Abschiebungen, Sozialabbau, Lohndrückerei und sonstige Schweinereien zum ganz normalen Geschäft dieses Staates dazu. Daran kann keine Regierung groß etwas ändern.
Die Weichen sind also schon lange gestellt, bevor auch nur irgend ein Politiker sich seine Wahlversprechen ausdenkt. Sitzt man einmal im Bundestag, ist man niemandem mehr Rechenschaft schuldig, da in diesem Staat die Abgeordneten ja nur „ihrem Gewissen“ verpflichtet sind und nicht etwa denjenigen, die sie gewählt haben. Und so kommt man dann die nächsten vier Jahre damit durch, das komplette Gegenteil von dem zu tun, was vorher angekündigt wurde. Stehen die Zeichen dann wieder so langsam auf Wahlkampf, wie im Moment gerade, erinnern sich manche PolitikerInnen an ihre WählerInnen und fangen an um sie zu buhlen, wie etwa Martin Schulz, der der SPD jetzt vor der Wahl wieder einen sozialen Anstrich verpassen will. Vergessen sind dann die Waffenexporte, die Agenda 2010, die Austeritätspolitik und sonstige Verbrechen der Arbeiterverräterpartei Nr.1. So wird „zu seinen Fehlern gestanden“ und schon steigen die Umfragewerte.
Doch anders als noch in den 70er oder 80er Jahren merken heute mehr Menschen, dass da irgendwas nicht stimmt. Die Zustände spitzen sich immer mehr zu. Der Kapitalismus kehrt wieder zu seiner alten Gestalt zurück. Es gibt keine Versuche mehr, die ArbeiterInnenklasse durch Zugeständnisse (z.B. Wohlfahrtsstaat) ruhig zu stellen, da die Herrschenden das gar nicht mehr nötig haben. Schließlich wird seit dem Ende des real existierenden Sozialismus behauptet, dass es keine Alternative zum Kapitalismus mehr gäbe. Heutzutage haben viele das Gefühl, verarscht zu werden. Damit liegen sie ja auch komplett richtig. Doch viele von ihnen wenden sich dann beispielsweise der AfD zu, da sie als eine Alternative daherkommt, neu auf der Bühne ist und allein dadurch wohl schon glaubwürdiger erscheint. Und so hoffen sie dann, wenigstens von denen nicht hintergangen zu werden. Allerspätestens an diesem Punkt wird es für radikale Linke dann doch wichtig, sich mit den Wahlen zu beschäftigen.
Warum Wahlen doch wichtig sind
Jetzt sind wir an einem zentralen Punkt angelangt: Es gibt da draußen verdammt viele, die absolut nichts von dieser Art Demokratie halten, weil sie immer wieder enttäuscht wurden. Die Meinung, dass Wählen an sich nichts ändert ist doch total verbreitet. Und so tun viele das einzige, was ihnen ihrer Meinung nach noch übrig bleibt, nämlich aus Protest die anderen wählen oder gar nicht mehr wählen. Es wäre falsch anzunehmen, dass tatsächlich alle AfD WählerInnen beinharte RassistInnen sind. Manchmal ist das Wählen einer solchen Partei auch ein verzweifelter Versuch, „denen da oben“ eins auszuwischen, indem man ihnen sagt: Das habt ihr nun davon, dass ihr uns immer verarscht, jetzt wählen wir eben die Neuen, auch wenn die rechts sind.
Doch sind diese Leute wirklich alle schon verloren? Man kann es sich einfach machen und die Frage mit ja beantworten. Man kann aber auch genauer hinschauen und die Notwendigkeit erkennen, sich damit auseinanderzusetzen, wenn man sich als radikale Linke nicht noch weiter abschotten will. Die AfD ist auch deswegen erfolgreich geworden, weil sie es geschafft hat, den Menschen eine scheinbare Perspektive anzubieten. Die radikale Linke dagegen hat es völlig versäumt eine linke Perspektive zu vermitteln. Viele Menschen haben bereits erkannt, dass auf dieser Welt einiges verdammt falsch läuft. Sie haben erkannt, dass sie nur alle vier Jahre nach ihrer Meinung gefragt werden ohne tatsächlich Einfluss auf die Politik zu haben und dass sie immer den Kürzeren ziehen. Außerdem merken sie, dass sie von sozialem Abstieg bedroht sind, weil sich die Schere zwischen Arm und Reich munter weiter öffnet. Und wer es nicht nach oben schafft, landet logischerweise unten.
Anstatt dieses Potential zu erkennen und zu versuchen es zu nutzen machen viele Linke aber etwas anderes: Sie verurteilen diese Menschen größtenteils moralisch: Rassismus ist ganz böse, zuerst an sich denken ist ganz böse, Angst vor Fremden haben ist ganz böse. Stimmt an sich alles, doch bringt uns dies allein weiter? Nein, im Gegenteil.
Viele Menschen haben das Vertrauen in diesen Staat schon lange verloren. Das könnten wir als Linke doch ausnutzen, indem wir ihnen eine fortschrittliche Alternative näher bringen. Allerdings verbrachte die Linke die letzten Jahre eher damit, Unterschichten-Bashing zu betrieben und sich bei genau diesen Leuten verdammt unbeliebt zu machen. Da wird sich dann über den Mangel an Rechtschreibfähigkeiten oder Ausdrucksvermögen Rechter in den „sozialen“ Netzwerken lustig gemacht, anstatt die Aussagen richtig zu kritisieren. Da wird sich über die BewohnerInnen von Plattenbausiedlungen lustig gemacht, die pauschal als Rechte verschmäht werden („Nazistau im Plattenbau“). Man nimmt die Leute schlichtweg nicht ernst. Das ist sehr gefährlich und sorgt noch für weiteren Hass auf die Linken. Diese Art und Weise, sich mit „Rechten“ auseinanderzusetzen trieb die Verunsicherten und Verzweifelten nur so in die Arme der AfD. Sie fühlen sich von oben herab verurteilt, von einer größtenteils studentisch geprägten Linken, die arrogant daherkommt und ihnen nun erklären will, was richtig ist, während sie selbst so etwas wie Existenzangst oft gar nicht kennt. Diese Doppelmoral wird durchschaut, denn was viele Linke immer vergessen: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ (B. Brecht). Und deshalb kommen die moralischen Argumentationen bei Leuten nicht an, die ganz andere Probleme haben. Die Rechten haben das erkannt. So konnten sie es schaffen, sich ein rebellisches Image zu geben und den Linken das Etikett anzuhaften, Teil des Establishments zu sein. Daher herrscht bei vielen eine grundlegende Abneigung gegenüber allem was sich links nennt. Das Ausmaß dieses Schadens ist kaum zu beschreiben. Welch Bankrotterklärung ist das eigentlich für die radikale Linke? Sie schafft es kaum, diejenigen zu erreichen, die vom System enttäuscht sind. Sie sorgte in den letzten Jahren sogar noch eher dafür, dass diese sich von der Linken abwenden.
Was tun?
Schaffen wir es nicht, den Leuten eine Perspektive zu eröffnen, holen sie sich eine bei den Rechten. Wir müssen also irgendwie bei den Leuten ankommen. Wir müssen antikapitalistische Perspektiven erarbeiten und sie genau da, wo die Leute vom System enttäuscht werden, anbieten. Ein guter Weg die AfD zu bekämpfen ist es, Visionen einer wirklich kommunistischen Gesellschaft zu streuen. So kann klargemacht werden, dass auch alles ganz anders sein könnte und die AfD keinen Ausweg aus der Misere bietet, sondern denjenigen, die in dieser Gesellschaft unten sind noch weiter schadet. Man muss sich mit den SympathisantInnen auseinandersetzen, sie mit ihrem Quatsch konfrontieren und in die Diskussion gehen. Man muss das Bild durchbrechen, Antifas wären die VerteidigerInnen der parlamentarischen Demokratie. Man muss den Schaden beheben, den eine mangelhafte Klassenorientierung in der radikalen Linken verursacht hat. Wir müssen vielen erst einmal wieder klarmachen, dass wir als Linksradikale ihre Interessen vertreten. Man muss Potentiale analysieren und ausnutzen, wie etwa die „Politikverdrossenheit“ vieler, die ja eben nicht der Politik an sich überdrüssig sind, sondern dieser bestimmten Art von Demokratie. Man muss die Bestrebungen innerhalb unserer Zusammenhänge, die in diese Richtung gehen, stärken und ausbauen. So haben wir die Chance, wieder Wirkungsmacht zu entfalten und den ein oder anderen Menschen davon abzuhalten, sich den FaschistInnen anzuschließen.
Dazu müssen wir aber mehr mit den Leuten sprechen. Diese Erkenntnis zeigt sich ja in letzter Zeit in mehreren Debattenbeiträgen.1 Damit meine ich nicht die GenossInnen in der Szenekneipe oder im Infoladen, sondern eher die unbequemen Gespräche mit Leuten, die eine andere Meinung haben. Klar trifft man da beispielsweise auf rassistische Denkmuster oder falsche Solidarität mit den eigenen Ausbeutern. Doch setzt man sich ernsthaft mit den Menschen auseinander bringt das mehr als jede Demo. Das soll natürlich kein Aufruf sein, sich mit organisierten Nazis zu unterhalten. Doch die meisten Leute in dieser Gesellschaft sind dies ja zum Glück noch nicht. Und wenn wir eine entsprechende Entwicklung verhindern wollen, müssen wir erst einmal mehr darüber wissen, wie die Menschen in unserem Umfeld ticken und ihnen unsere Inhalte näher bringen. Stellt sich dann heraus, dass man beim Gegenüber absolut nichts mehr machen kann, kann man immer noch ungemütlich werden. Aber auch das ist ein Signal an alle Unentschlossenen. Es gilt zu polarisieren, denn wir befinden uns an einem Scheidepunkt in der Geschichte: Kommunismus oder Barbarei. Wir müssen jetzt dafür sorgen dass sich die Leute für die richtige Seite entscheiden. Also streitet euch mit denen da draußen: Bei der Arbeit, in der Uni, auf der WG-Party, in der Eckkneipe, im Jobcenter oder beim nächsten Familientreffen. Geht in die Konfrontation und verbreitet die frohe Botschaft, dass es auch eine andere Alternative für die Leute gibt als den Faschismus zu wählen: Nämlich die, sich für seine Interessen selbst einzusetzen und solidarische Netzwerke aufzubauen; die Möglichkeit, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, für sich und seine Klasse zu kämpfen, ganz ohne die Aussicht, von Parteien oder Gewerkschaften verarscht zu werden. Verbreitet die Erkenntnis, dass wir uns aus dem Elend nur selbst erlösen können und wir auf nichts und niemanden warten müssen. Und das ist tausendmal wichtiger als jede Bundestagswahl. Verbreitet Autonomie!
1Siehe „Raus aus der Anonymität!“ im Lower class magazine: http://lowerclassmag.com/2017/03/raus-aus-der-anonymitaet/
Weiterführende Literatur:
Christian Baron: Proleten, Pöbel, Parasiten: Warum die Linken die Arbeiter verachten. Das neue Berlin. 2016
Didier Eribon: Rückkehr nach Reims. Suhrkamp Verlag 2016