Kategorien
Repression

Halo I Bims 1 Rechtsstaat. Über den Fetisch der Rechtsstaatlichkeit und eine Geschichte erfolgreichen Widerstands

 

Die Geschichte haben alle mitbekommen: An einer Nürnberger Berufsschule wurde mit einer Sitzblockade versucht, die Abschiebung eines Mitschülers zu verhindern. Die bayerische Polizei ließ sich nicht lange lumpen und ging ihrem Geschäft nach. Diesmal mit besonderer Härte, denn sie hatte es eilig. Der Betroffene sollte abends in einem Flieger nach Kabul sitzen. Zu dieser Zeit wusste noch niemand, dass der Flug abgesagt werden würde. Um ihr Ziel zu erreichen setzten die bayerischen BeamtInnen auf Pfefferspray, Knüppel, Faustschläge ins Gesicht, an den Haaren ziehen und weitere Gewaltmittel. Die Bilder sind bekannt.

Nach all dem bleibt die Frage übrig, wie man denn so sein kann und was beispielsweise ein 2-Meter-Ochse des USK davon hat, 18-jährige SchülerInnen zu verprügeln. Warum fühlen sich diese Uniformierten dazu gezwungen, ihren Dienst auch dann ordnungsgemäß zu verrichten, wenn sie jemanden in den Tod schicken sollen? Ein paar von ihnen hatten wohl auch ein mulmiges Gefühl dabei oder haben eventuell sogar Zweifel, ob es richtig ist, jemanden in ein Kriegsgebiet abzuschieben. Doch warum legen sie nicht ihre Uniform ab und pfeifen darauf? – Das alles natürlich unter der Voraussetzung, dass auch bei Robotern nach jahrelangem Polizeidienst noch ein kleiner Rest von dem übrig ist, was ihnen ihre Mütter vielleicht einmal beigebracht haben. Kurzum, es bleibt die Frage: Warum tun die das?

Um diese Frage zu beantworten, muss man sich näher anschauen, in welchem Apparat sich die BeamtInnen jeden Tag bewegen und wer sie ausgebildet hat. Die Rede ist vom bayerischen Staat. Dieser wird seit jeher von der reaktionärsten Regierung innerhalb der BRD geführt: Einem von Korruption, Betrug und Lügen geprägten Kreis von PolitikerInnen, die sich in der Partei CSU organisieren. Dieser Staat zeichnet sich grundlegend durch eine autoritäre Struktur, eine totale Obrigkeitshörigkeit und das Dogma aus, dass die Rechtsstaatlichkeit die tollste Erfindungen der Menschheit ist und gottähnlich über allem schwebt. Das wird den jungen PolizistInnen, die sich dafür entschieden haben, diesem Staat ihre Arbeitskraft zu verkaufen, in der Ausbildung eingehämmert. Unterfüttert wird dies mit der als wissenschaftlich daherkommenden „Extremismustheorie“, die eine bürgerliche Mitte herbei phantasiert, die alles richtig macht, während die Bedrohung von Rechts und Links (natürlich besonders von Links, wenn man selbst so rechts wie die CSU ist) das Problem sein soll. Nahezu alles was diese jungen Leute bis dahin an Fähigkeit erworben haben, sich selbst oder andere zu kritisieren, wird in diesen Jahren vernichtet oder ruhig gestellt. So hat man am Ende der Polizeiausbildung fertige Automaten, die tun was man ihnen sagt. Das ist schließlich der Sinn dieses Berufes. Sie sind die AusführerInnen der Klassenherrschaft.

Diese BefehlsempfängerInnen durchbrechen dann nicht mehr das Dogma, dass dieser Staat alles richtig macht. Es gibt schließlich Gesetze und diese sind durch eine Regierung erlassen, die schließlich vom Volk gewählt wurde. Somit schließt sich dann der Kreis: Auch wenn ich als Individuum etwas vielleicht ablehne muss ich trotzdem geltendes Recht durchsetzten. Bei allen Unterschieden in den Auswirkungen gleicht hier der moderne Staatsapparat dem deutschen Faschismus, der den Holocaust durchgeführt hat. Das Individuum spielt keine Rolle, es geht um das Wohl der Nation. Und dieses Wohl kann nur durch das rigorose Durchsetzen geltenden Rechts (Stichwort Rechtsstaatlichkeit) erhalten werden, egal wie genau dieses Recht aussieht und ob es was mit wirklicher Gerechtigkeit zu tun hat. Wenn früher das Gesetz sagte, Juden müssen deportiert werden, dann musste das passieren. Wenn das Asylgesetz heute sagt, dieser oder jener Mensch muss abgeschoben werden, dann muss das passieren. Das ist die simple Logik hinter dem Ganzen. Und so werden die Befehle ausgeführt, egal welche Auswirkungen das für die Betroffenen hat. Das Wohl der Nation ist wichtiger. Das Wohl des Rechtsstaates ist wichtiger, denn wo kämen wir denn hin wenn alle das machen könnten was sie wollen? Am Ende fänden wir uns in einer Gesellschaft wieder, die sich an den Bedürfnissen eines jeden und jeder orientiert. Diese Vorstellung ist für einen kapitalistischen Staat eine ernsthafte Bedrohung.

Deshalb sind alle, die den normalen Ablauf stören, die größten Feinde der PolizistInnen. ArbeiterInnen, die streiken, Antifas, die Naziaufmärsche blockieren, Autonome, die Häuser besetzen oder eben auch SchülerInnen, die verhindern wollen, dass ihr Kumpel abgeschoben wird. Wären diese „Chaoten“ nicht, würde alles perfekt laufen. Der Rechtsstaat hätte keine Probleme seine Gesetze durchzusetzen, die PolistInnen hätten weniger zu tun und müssten so unangenehme Situationen nicht mehr durchleben. Wir, die wir uns gegen die Durchsetzung ihrer Klassenherrschaft zu Wehr setzen, sei es friedlich oder auch militant, kommen in ihrem Kosmos immer nur als ewige Nörgler und Störenfriede vor, ohne die alles einfacher wäre. Deshalb sind wir auch ihre Hauptfeinde. Diese Einstellung ist übrigens nicht nur bei PolizistInnen vorhanden, sondern grundsätzlich bei allen Fans des bürgerlichen Staates.

Nun gab es ja auch aus bürgerlichen Kreisen deutliche Kritik an dem Einsatz. Sogar der Nürnberger Oberbürgermeister Maly sprach sich dafür aus, so etwas nicht mehr geschehen zu lassen Er will sogar Abschiebungen nach Afghanistan komplett bleiben lassen. Sein großes Problem mit der Sache war die Tatsache, dass der junge Mann aus der Schule heraus abgeschoben werden sollte. Maly verlor aber kein Wort über sonstige Abschiebungen, die im Stillen verlaufen, ohne dass irgendjemand davon erfährt. Ebenfalls verlor er kein Wort über Abschiebungen in andere Länder. Diese Aussage könnte man so interpretieren, dass man solche unbeliebten Staatsaktionen doch bitte nicht in aller Öffentlichkeit austragen, sondern lieber die Leute früh morgens aus den Wohnungen abholen soll. Das sagt er natürlich nicht so, immerhin ist er Sozialdemokrat. Malys Problem sind nicht die Abschiebungen an sich, sondern die öffentliche Austragung dieses Konfliktes. Deshalb sah er sich gezwungen, den Einsatz zu kritisieren. Das ist ein Paradebeispiel dafür, dass die Sozialdemokratie nicht dazu in der Lage ist, diese Politik richtig zu kritisieren, da sie selbst Teil davon ist.

Der Tag hat vielen die Erkenntnis gebracht, dass Aktionen, die den normalen Ablauf in diesem Staat stören, nicht wirkungslos sind. Man kann sagen, dass an diesem Tag vieles richtig gemacht wurde. Man hat gesehen, wozu man den bayerischen Staat zwingen kann, wenn man nur ein bisschen widerständig ist. Die BerufsschülerInnen haben allen gezeigt, das etwas gegen diese Politik zu machen ist und zwar dadurch, dass man sich selbst vor Ort organisiert. Sie sorgten dafür, dass der Staat sein wahres Gesicht in aller Öffentlichkeit gezeigt hat. Die Polizeigewalt, die sonst eher Menschen betrifft, die leicht zu diskreditieren sind (beispielsweise Linksradikale oder Ultras) und deshalb wenig in der Öffentlichkeit thematisiert wird, brach in diesem Moment unter den Augen des ganzen Landes aus. Dementsprechend waren auch die Reaktionen darauf. Die CSU versucht nun mit der Verbreitung von dreisten Lügen den Einsatz zu legitimieren und behauptet, Linke hätten die Polizei angegriffen. Das gelingt ihnen diesmal aber besonders wenig, da die bürgerliche Presse das Gegenteil veröffentlicht hat.

Solch ein Ereignis kann eine enorme Sprengkraft entfalten und dafür sorgen, dass auch diejenigen, die bisher nur zugesehen haben, aber diese Asylpolitik ebenfalls ablehnen, dazu ermutigt werden, aktiv zu werden. Am 31.5. wurde in Nürnberg gezeigt, dass Widerstand etwas bewirken kann. Und das ist gerade in Zeiten des Rechtsrucks verdammt wichtig.