Spätestens seit dem Aufstieg der AfD und dem Rechtsruck der letzten Jahre ist nahezu jedem und jeder Linken klar, dass wir uns in einer Krise befinden. Daraus wird nun auch schon länger ein Ausweg gesucht. Raus aus der Szene heißt es hier, rein in die sozialen Kämpfe heißt es dort und einige linke Gruppen entdecken den Klassenkampf wieder für sich. Ein weiterer aktueller Versuch, eine Antwort auf die Krise der deutschen Linken zu finden ist das Buch „Ein unanständiges Angebot?“ von Thomas E. Goes und Violetta Bock, das dieses Jahr im PapyRossa Verlag erschienen ist. Die beiden Autoren plädieren für einen fortschrittlichen linken Populismus, „der internationalistisch und feministisch ist und für die radikale Demokratisierung dieser Gesellschaft kämpft“. Aber ist das dann nicht viel zu einfach und verkürzt? Oder braucht es einfache Antworten von links um wieder eine relevante Kraft zu werden?
Der Sozialwissenschaftler Thomas E. Goes und die Linkspartei-Politikerin Violetta Bock analysieren zunächst die aktuelle Situation in der BRD und sprechen von einer organischen Krise, da sie einerseits eine soziale Krise und andererseits eine Repräsentationskrise erkennen, was dazu führe, dass sich viele Menschen von ihren traditionellen Parteien verabschieden und nach neuen Wegen suchen, ihre Interessen vertreten zu lassen (2. Kapitel). Diese organische Krise führe auch dazu, dass es den Herrschenden immer schwerer fällt ihr System zu legitimieren, woraus sich ein Potential für uns Linke ergibt, diese Lücke mit unseren Deutungen zu füllen.
Im 3. Kapitel stellen sie fest, dass es beim Populismus zunächst einmal um die einfache Gegenüberstellung von Volk und Elite, sprich „unten gegen oben“ geht. Ein Populismus beziehe sich nicht auf Klassenanalysen, sondern sei nur ein erster Bezugspunkt. „Der Populismus selbst verfügt kaum über eine weiter ausgearbeitete Ideologie, er ist eher eine politische Methode der Anrufung, Mobilisierung und gesellschaftlich-politischen Interpretation.“ (S. 32). Daher sei er auch von Rechten genauso einsetzbar wie von Linken.
Völlig richtig erkennen die Autoren im rechten Populismus eine „Rebellion auf Knien“ (S.39), die sich in ein soziales Gewand hüllt und für das Volk sprechen will. Allerdings ist bei den Rechten das Volk etwas Exklusives, das sich ethnisch oder kulturell definiert. Eine wirkliche Elitenkritik ist ihnen eigentlich fremd, da sie selbst Teil der Elite dieses Landes sind und ihre Privilegien verteidigen wollen (4.Kapitel).
So analysieren sie in ihrem 5. Kapitel die verbreiteten Deutungsmuster und stellen die Frage, wo wir als Linke ansetzen können. Sie wenden sich gegen eine zu pessimistische Sicht der aktuellen Situation. Das Alltagsbewusstsein des Großteils der Leute ist widersprüchlich und ihre Erklärung der Welt keinesfalls in sich schlüssig. Zudem entscheiden sie sich nicht notwendigerweise bewusst für eine Seite. Ein Bewusstsein dieser Art sei für einen Populismus von rechts genauso einsetzbar wie für einen linken (S.47). Mit anderen Worten: Dass beispielsweise die Arbeitsbedingungen immer schlechter werden, merken alle. Warum das so ist, erklären sich die Leute aber unterschiedlich. Für die einen sind die gierigen Chefs das Problem, während für die anderen die migrantischen Niedriglohn-ArbeiterInnen schuld sind. Nur für eine kleine Minderheit (damit sind die Linken gemeint) ist der Kapitalismus an sich das Problem. Wir können aber am Bewusstsein der großen Mehrheit ansetzen und unsere Deutungen und Erklärungen anbieten. Die Feststellung, dass der niedrige Lohn von migrantischen ArbeiterInnen ein Problem für die restliche Belegschaft ist, muss nicht automatisch dazu führen, dass den MigrantInnen die Schuld gegeben wird. Es kann auch dazu führen, dass für eine Lohnerhöhung gekämpft wird, weil es im Interesse aller ist (S. 64). Es gibt also keinen Automatismus nach rechts. Will man dem Glauben schenken liegt es also an uns, den „Kampf und die Köpfe“ zu gewinnen und die Menschen, die uns im Alltag begegnen, auf unsere Seite zu bringen.
Die beiden Autoren wehren sich außerdem gegen die Argumentation vieler Linker, ein populistischer Ansatz würde den Weg nach rechts ebnen und man dürfe bspw. das Wort Volk als Linke nicht benutzen. „Das Volk kann hart arbeitend und schwul oder auch erwerbslos sein, viele Hautfarben und diverse (falsche) Religionen haben – das Volk kann aber auch rein national oder ethnisch gedeutet werden“ (S. 32). Es liegt an uns, Begriffe zu besetzen anstatt sie rechts liegen zu lassen.1
Ebenso wenden sie sich gegen die Kritik, ein linker Populismus würde durch Vereinfachungen automatisch verfälschen: „Ein fortschrittliche Linke muss vereinfachen und zuspitzen, ohne damit die Wirklichkeit zu verfälschen“ (S.30). Die Herrschenden versuchen natürlich einfache Antworten von Links zu diskreditieren, denn verbreiten sich linke Deutungsmuster wird das zum Problem für sie. Als Linke gehen wir doch davon aus, dass unsere Analyse der Gesellschaft am ehesten der Realität entspricht, also warum keine abgespeckten Versionen davon verbreiten? Wer sich dagegen ausspricht sorgt automatisch dafür, dass es den Herrschenden leichter fällt ihr falsches Bewusstsein unter Lohnabhängigen zu verbreiten.
Die Autoren stellen außerdem einen klaren Unterschied zwischen rechtem und linkem Populismus fest. Man kann es auch anders machen als Sahra Wagenknecht, nämlich, „die schwankenden Teil der Bevölkerung aufgrund ihres widersprüchlichen Bewusstsein nicht rechts liegen lassen, sondern versuchen deren Herz und Verstand für emanzipatorisch-solidarische Lösungen zu gewinnen- ohne ihnen opportunistisch nach dem Munde zu reden“ (S. 14). Den kläglichen Versuch von Sahra Wagenknecht halten die Autoren für gefährlich, da eine klare antirassistische und internationalistische Haltung fehle und die wichtigen Themen wie Organisierung, soziale Kämpfe und Bewegungen in ihrem Denken kaum eine Rolle spielen (S. 80).
Zum Schluss stellen die Autoren ihre wichtigsten Thesen zum „popularen Sozialismus“ zusammen. Sie wollen einen Sozialismus von unten, der ohne eine Elite agiert, da eine richtige Befreiung der Lohnabhängigen nur ihr eigenes Werk sein kann (S. 97). Es geht also darum eine Gegenmacht von unten zu schaffen. In diese Richtung gehen auch die weiteren Thesen: Eine organisierende Linke werden, eine lernende Linke werden, etc. Zu guter Letzt vertreten die Autoren die These, ein „rebellisches Regieren“ sei dann irgendwann von Nöten, um Übergänge zu schaffen und so den Weg zum Sozialismus zu ebnen, ganz nach dem Vorbild lateinamerikanischer Versuche. Sie wollen dabei den Staat dazu benutzen, eine Demokratisierung voranzutreiben und neue Einrichtungen popularer Macht entstehen zu lassen. Dabei setzen sie aber zu viel Hoffnung in den Staat als Instrument der Transformation. Gerade dieser Staat agiert fundamental entgegen unseren Interessen und ist nicht einfach umzufunktionieren. Sinnvoller wäre es doch, eigene Strukturen weiter aufzubauen, die den Staat als Apparat nach und nach überflüssig machen, anstatt sich daran die Zähne auszubeißen, ihn für unsere Zwecke einsetzen zu wollen. Aber trotzdem, und da haben die Autoren wohl recht, macht es Sinn, sollte man eine gewisse Stärke erreicht haben, sich in Positionen wählen zu lassen. Dort sollte man aber eher seine Unversöhnlichkeit dem Staat gegenüber zeigen und der Aufbau der eigenen Seite sollte darunter nicht leiden.
Alles in allem klingt das Buch in vielen Punkten fast schon selbstverständlich. Doch es ist bitter nötig, diese Diskussion zu führen, bis auch bei allen angekommen ist, dass wir uns anders aufstellen müssen. Viele Aspekte des Buches sind keine neuen Erfindungen, sondern alte Erkenntnisse aus der linken Bewegung. Man muss sich nur zurückbesinnen auf erfolgreichere Zeiten, aus ihnen lernen und herausfinden welche Strategien heute noch einsetzbar sind.
„Organisieren heißt zuhören, stärken und befähigen; heißt Widersprüche und Rückschläge aushalten; heißt (sich selbst) bilden und ausbilden, lernen und sich selbst verändern; heißt Einrichtungen zu schaffen, die als Organisierungszentren bleiben; heißt sich von jedem ‚Nürnberger Trichter‘ verabschieden, mit dem anderen das richtige Bewusstsein eingeflößt werden soll. (S. 98)“
Klassenbewusstsein ist niemandem nur durch Agitation beizubringen. Es braucht eine selbständige Auseinandersetzung mit Theorie und eine kämpferische Praxis, damit es allen klar wird, auf welcher Seite sie stehen sollten. Also greifen wird dort ein, wo wir sind und bewegen unsere Mitmenschen dazu den Kampf aufzunehmen. Klingt einfacher als es ist, dennoch gibt es für uns keine Alternative, sollte das mit dem Kommunismus noch etwas werden, denn „er ist das Einfache, das schwer zu machen ist“.
Goes, Thomas E.; Bock, Violetta: Ein unanständiges Angebot?
PapyRossa Verlag
133 Seiten
12,90€
1(siehe dazu auch die Auseinandersetzung mit dem Heimatbegriff im LCM: http://lowerclassmag.com/2017/11/heimat/).