Ein Artikel der barricada – zeitung für autonome politik und kultur einem seit längerem eingestellten Projekt der nürnberger Autonomen, an dem ein paar unserer Redakteure mehr oder weniger intensiv mitgearbeitet oder hin und wieder einmal geschrieben haben. Das Projekt ist seit einigen Jahren tot, doch wir wollen einige der beachtenswertesten und noch immer aktuellen Artikel neu veröffentlichen. Der folgende Artikel erschien in der Januar Ausgabe von 2003.
„Bevor ich wieder auf die Kultur zurückkomme, gehe ich davon aus, dass die Welt Hunger hat und sich nicht um die Kultur kümmert; und dass man künstlich Gedanken auf die Kultur hinführen will, die auf nichts anderes gerichtet sind, als den Hunger.“
Antonin Artaud
Die radikale Linke allerdings beschäftigt sich seit ihrer Entstehung mit Fragen der Kunst – und selbstverständlich bringt sie auch in diesem Bereich ein gewaltiges und buntes Spektrum an Herangehensweisen, Antworten und Fragestellungen hervor.
In den letzten 150 Jahren ist verschiedentlich die Forderung vorgebracht worden, die Linke solle sich der Beschäftigung mit kulturellen Fragen enthalten. Diese Ansicht ist immer noch nicht erledigt, breit durchsetzen konnte sie sich aber nie: Es war stets der erklärte Anspruch der Linken, nicht nur die politische Ökonomie und den unmittelbar politischen Bereich der herrschenden Ideologie zu untersuchen und einer Kritik zu unterziehen, das Elend des kapitalistischen Wirtschaftens nicht auf ein Verteilungsproblem zu reduzieren.
Die Nachrangigkeit kultureller Fragen andererseits, auch immer wieder gerne bestritten, ergibt sich für uns schon aus der Tatsache, dass Hungernde sich nicht recht für ästhetische Probleme begeistern können und Tote keine Diskussionen über Ökonomismus oder Kulturalismus führen.
In den letzten 5 Jahren hat sich die barricada wiederholt solch nachrangigen Fragen gewidmet, meistens am Rande (das bringt die Nachrangigkeit mit sich) und um aktuelle Ansätze vorzustellen, die Kunst in den Dienst der Revolution stellen wollen, in den Dienst der Aufklärung und der Propaganda.
Was bislang fehlte, war eine Diskussion der vielen offenen Fragen in diesem Bereich, der Versuch, dieser Diskussion überhaupt einen Rahmen zu geben, also eine Position zu finden zur Frage: Wie sollen sich Linke mit Kunst beschäftigen?
Das ist freilich eine Diskussion, für die wir mit dieser Ausgabe lediglich den Anfang setzen können. Kann Kunst selbst revolutionär sein? Wo hat Kunst ihren gesellschaftlichen Ort? Was sind ihre Funktionen, wo sind die Grenzen ihrer Wirksamkeit? Kann es proletarische Kunst geben? Können subversive Ausdrucksformen und Inhalte vor Vereinnahmung durch die Gegenseite geschützt werden, wo selbst das vormals subversive Spiel mit affirmativer Ästhetik bereits vereinnahmt wird? Hat Kunst ein Geschlecht?
Der vorliegende Artikel wird einige dieser Fragen gerade mal anreißen, im übrigen kann er nicht mehr leisten als einige grundsätzliche Überlegungen zur Diskussion zu stellen und den Verlauf des Problems anhand historischer Beispiele zu beleuchten.
KUNST UND FREIHEIT
„Ideologisch´ heißt hier soviel wie: nicht unmittelbar durch das dem Denken Entgegenstehende (den Gegen-Stand) bestimmt, sondern durch das Denken dieses Gegenstandes, durch den denkenden Gegenstand, durch die in seinem Denken – sich richtig oder falsch – erkennende Gesellschaft selbst …“
Leo Kofler
„Raffael, so gut wie jeder andre Künstler, war bedingt durch die technischen Fortschritte der Kunst, die vor ihm gemacht waren, durch die Organisation der Gesellschaft und die Teilung der Arbeit … .“
Marx/ Engels, Die deutsche Ideologie
Alle Kunst ist letztlich durch das Ökonomische bestimmt, allerdings nicht unmittelbar und mechanisch, sondern gebrochen, ihrerseits im Ökonomischen wirksam und innerhalb der eigenen Sphäre Wechselwirkungen bedingend – mit anderen Worten: Kunst ist relativ autonom. Bei aller augenscheinlichen Widersprüchlichkeit resultiert aus Ökonomismus und Kulturalismus die gleiche falsche Position: Die Trennung und Gegenüberstellung zweier Bereiche der Realität, die untrennbar verflochten sind, verführt dazu, für eine Seite in diesem falschen Widerspruch Partei zu ergreifen und einen Bereich als absolut autonom und bestimmend wahrzunehmen, den anderen quasi von der gesellschaftlichen Realität abzutrennen und zur Form werden zu lassen, die beliebig füllbar ist, -oder aber einen der Bereiche für komplett und unmittelbar vom anderen bestimmt zu erklären, womit eine direkte Arbeit an ihm unnütz wird.
Das bürgerliche Kunstverständnis hat stets dazu geneigt, die relative Eigengesetzlichkeit, Eigengeschichtlichkeit von Kunst absolut zu setzen.
Teile der Linken haben immer wieder dazu geneigt, in der Beschäftigung mit Kunst (oder auch nur Ablehnung des Themas) den dialektischen Materialismus zu vergessen und bürgerliche Mythen und Vorstellungen zu reproduzieren: Die Theorie des autonomen schöpferischen Subjekts etwa, die Klassenlosigkeit und Freiheit von Kunst, die Reduzierung auf eine Frage des „Geschmacks“ einerseits, auf den Grad ihrer unmittelbaren Nützlichkeit als Mittel zum Zweck andererseits usw. …
DAS „EWIG SCHÖNE“ UND DIE WARE
„Man steigt nicht schon dadurch aus der Kultur aus, daß man sich die Analyse der Kultur und der kulturellen Interessen erspart.“ Bourdieu
„Eine Kunst, die sich über die von mir bezeichneten Gesetze und Schranken hinwegsetzt, ist keine Kunst mehr.“ Kaiser Wilhelm II.
Haben KünstlerInnen gesellschaftliche Verantwortung?
Zunächst haben sie die Verantwortung, die kunstkaufende Klasse zufriedenzustellen. Wie die Bourgeoisie ihre Interessen als das Interesse der gesamten Menschheit darstellt (und in der Regel auch selber betrachtet), muss (und kann) sie ihr falsches Bewußtsein in puncto Kunst als allgemeingültiges, wenn nicht gar ewiges, hinstellen.
In der Bourgeoisie ist das Wissen darum, wie sehr KünstlerInnen nichts anderes sind als abhängige ProduzentInnen allerdings weiter verbreitet als in den populären Kulturmythen.
Abhängig sind die HerstellerInnen der Ware Kunst vom Wohlwollen des Marktes, heißt es. Da der Markt aber gar nichts will, müssen wir sagen: Sie sind abhängig von den verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie, die direkt oder indirekt (über Aufträge des Staates oder angeschlossener systemerhaltender Apparate) darüber entscheiden, was aus dem reichen Kunstangebot gekauft wird. Der Einfluß auf die Produktion ist zwar in der Regel komplex und eher subtil, es gibt aber auch Beispiele für direktes und unverblümtes Eingreifen von GaleristInnen und SammlerInnen in das „autonome“ Kunstschaffen, geballt etwa während des Investitionsbooms und der Hypes der 80er Jahre.
Allein die Unsicherheit der KünstlerInnenexistenz, die mit der Herausbildung eines offenen Kunstmarktes ab dem 16. Jahrhundert viel größer wurde als sie z.B. im feudalistischen Mittelalter war, legt den Kunstschaffenden manchmal eine Identifizierung mit den Unterdrückten nahe. Weitere Gründe für die Parteinahme Kulturschaffender für das Proletariat, das sich ausdrücken kann in sozialem oder rein ideellem Engagement, künstlerischen Kommentaren usw. ist die Auslagerung des „sozialen Gewissens“ der Herrschenden auf das Feld der Kultur. Selbst radikalste Kritik kann hier, vor allem wenn sie ohne aktuellen konkreten Bezug ist, Wertschätzung und KäuferInnen finden (die Allianz der KünstlerInnen mit der Macht erweist sich sowieso als weniger brüchig und ehrlicher). Nebenbei werden durch das Verhandeln gesellschaftlicher Widersprüche auf dem relativ sicheren Terrain der Kultur Widerstand und Subversion entschärft und sogar eingebunden. Die Reihe von Vereinnahmungen von „Subkulturen“ sollte es deutlich gemacht haben: In der Kunst kann es radikale Kritik geben, aber kein „Außerhalb“ des Kulturspiels.
Einem Gegenstand, der durch das Verdikt der Herrschenden zur hohen Kunst wird, werden nicht nur die magischen Qualitäten normaler Ware verliehen, er wird beinahe zur Person erklärt, allerdings zu einer „einmaligen und ewigen“.
In der Berichterstattung über Attentate auf alte (oder neue) Schinken wird es deutlich: Ein Stück Holz oder Leinwand, auf dem Farbe verteilt ist, kann allemal mehr wert sein als ein Mensch.
Ewig ist ein Kunstwerk, zum Entsetzen mancher KunstgeschichtsstudentInnen, freilich nicht. Es ändert sich mit der Zeit, das Material zerfällt, die Substanz schwindet.
Einmalig ist es schon gar nicht. Es lässt sich, für´s Auge ununterscheidbar, prima reproduzieren. Das Produkt legt ja auch vom eigentlich wichtigen, der Findung, lediglich Zeugnis ab, oder anders ausgedrückt: Ob z.B.Barnett Newmans „Wer hat Angst vor rot, gelb und blau IV“ in der Berliner Nationalgalerie das Original oder, mit identischer Farbgebung, von Malermeister Krause aus dem Wedding reproduziert ist: Für die Betrachterin und die Wirksamkeit des Bildes ist es wurscht. Nicht wurscht sein kann es den AkteurInnen auf dem Kunstmarkt und den BesitzerInnen der bürgerlichen Kunstideologie. Auch hier beugen sich nicht nur die ProduzentInnen den Marktgesetzen, durch Limitierung von Drucken und Skulpturen etwa, sondern die bürgerliche Gesetzgebung hilft mit Freiheitsstrafen (!) für „FälscherInnen“ nach.
Ein sympathisches Beispiel für versuchten Widerstand gegen einen Teil des Kunstspiels liefert der Vielmaler Jim Avignon: „Jeder soll soviel bezahlen, wie er hat. Das heißt: Von Firmen sehr viel Geld verlangen, von Privatleuten weniger und von Leuten, die nichts haben, eben gar nichts. Ich habe immer wieder Ausstellungen gemacht, wo es Bilder umsonst gab.“ … und das ist mindestens Marktbeleidigung.
REVOLUTION ILLUSION – DAS SCHEITERN VON DADA, SURREALISMUS, SITUATIONISMUS
„Die einfachste surrealistische Handlung besteht darin, mit Revolvern in den Fäusten auf die Straße zu gehen und blindlings so viel wie möglich in die Menge zu schießen. Wer nicht wenigstens einmal im Leben Lust gehabt hat, auf diese Weise mit dem derzeit bestehenden Prinzip der Erniedrigung und Verdummung aufzuräumen – der gehört eindeutig selbst in diese Menge und hat den Wanst ständig in Schußhöhe.
Die Berechtigung zu einer solchen Handlung ist meines Erachtens keineswegs unvereinbar mit dem Glauben an jenen Glanz, den der Surrealismus in unserem Innern zu entdecken sucht. Ich habe hier nur der menschlichen Verzweiflung Raum schaffen wollen, denn diesseits von ihr vermag nichts diesen Glauben zu rechtfertigen: Unmöglich, diesem seine Zustimmung zu geben und nicht ihr.“
Andre Breton
Wir werden hier nicht versuchen, die bewegte Geschichte von DADA, Surrealismus und Situationismus nachzuzeichnen. Es geht uns lediglich darum, einige Probleme des Politischen in der Kunst und politischer Kunst zu beleuchten.
Entstanden in der bis dahin blutigsten Episode des Imperialismus, einte die multinationale DADA-Bewegung (viele von ihnen als WK I – Teilnehmer „Feinde“) der Bezug auf die Tradition des Dandys, die Weigerung, durch erbauliche oder auch kritische Bilder und Gedichte weiterhin das Schlachthaus zu dekorieren, die erklärte Entschlossenheit, die Kunst in Gänze abzulehnen, die Verachtung bürgerlicher Werte und das Dilemma, trotz allem Kunst zu produzieren. Als Reaktion auf die Verlogenheit der Zeit war DADA zunächst eine feine Sache.
DADA hat als erstes den Humor der Revolverschüsse und die kulturelle Entwendung zelebriert. Und natürlich galt: „DADA ist keine Kunstrichtung!“
DADA war Provokation auf dem Gebiet der Kultur und leider bald Mode: Die Provokation war keine mehr.
Offenbar wurde das Scheitern DADAs während des Prozesses gegen den Literaten Maurice Barres, dem die DADAisten seine Parteinahme für Frankreich und den Verrat des Geistes seiner Jugend vorwarfen.
Während Andre Breton, späterer Theoretiker und Kopf der Pariser Surrealisten, sich um eine ernsthafte Prozeßführung bemühte (was später leider eine seiner Paraderollen werden sollte), versuchten der Alt-DADA Tristan Tzara und seine Sympathisanten, die Aktion in den damals schon üblichen unverfänglichen DADA-Klamauk zu verwandeln. Wichtiger als das sich dadurch verfestigende Zerwürfnis war allerdings das Desinteresse der Medien, der Rechten und der Staatsgewalt, und das, obwohl die Breton-Fraktion im Vorfeld alles versucht hatte, um eine Strafverfolgung zu provozieren. Ein geplanter internationaler DADA-Kongress, der die Verteidigung DADAs gegen die zunehmende Sterilität seiner Aktionen und gegen die Vereinnahmung durch den herrschenden Kulturbetrieb und den Publikumsgeschmack zum Ziel hatte, kam nicht zustande. Die totale Negation konnte nicht in ein positives Projekt übergeführt werden, sie war zu ihrer eigenen Karikatur verkommen.
Anfang der 20er Jahre begann die zunächst sehr kleine Gruppe von Dichtern um Breton, zu der bald einige Maler stießen, dieses positive Projekt in Angriff zu nehmen, allerdings unter Verzicht auf das „Totale“ der Negation.
Von DADA übernommen hatte der Surrealismus u.a. die Großmäuligkeit, die hier aber durchaus keine ironische Funktion hatte.
Wo es anderen Kunstströmungen der Moderne um die Verherrlichung des mißverstandenen Fortschritts oder die Beschäftigung mit den Opfern der Verhältnisse ging, wollte „Die surrealistische Revolution“ nicht weniger als eine Revolution des Geistes, mit den Mitteln der Poesie und „mit wirklichen Hämmern“, die Vernichtung des Abendlandes, des Patriotismus, Rationalismus und Militarismus, der Familie, Religion usw. . (Die Befreiung der Frau stand nicht direkt auf dem Programm, dafür ihre Verherrlichung als ideelles Objekt und „das irdische Heil durch die Frau“)
Das Instrumentarium für ihre Revolte glaubten die Surrealisten beispielsweise in der Kultur der von Europa kolonialisierten Länder, in den psychiatrischen Anstalten, auf der Strasse und, zu Freuds Unmut, im Freudschen „Unterbewußten“ zu finden. Kampfmittel waren bemerkenswerte literarische und militante Interventionen, Provokationen und Skandale. Ihr erklärtes Ziel die Verwirklichung der Poesie im Leben.
Über die Wirksamkeit seiner Revolte hat sich Breton, das Zentrum des surrealistischen Kollektivs, bis zum Ende Illusionen hingegeben. Die Bewegung mußte, um den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, stets um Allianzen mit Revolutionären im Sozialen bemüht sein: Zunächst mit Moskau und der (mehr als leicht irritierten) französischen KP, bei der wichtige Mitglieder hängen blieben, dann mit mehreren antistalinistischen marxistischen Gruppen, später Trotzki und den TrotzkistInnen, nach dem 2. Weltkrieg mit anarchistischen Gruppen und obskuren Grüppchen und Sekten. In diese Zeit fällt auch der Höhepunkt von Verfall und Rekuperation, für die die schwülstige Allegorik und esoterischer Nabelschau eines (damals schon ausgeschlossenen) Dali und der Einzug in die Reklame und den Disney-Film Beispiele sind.
Der surrealistische Versuch, die Kunst im Leben zu verwirklichen war ein notwendiger Abschnitt der bürgerlichen Kulturkrise und hat wertvolleres hervorgebracht als das meiste, was sich während der 4 Jahrzehnte seines Bestehens „Realismus“ nannte. Er mußte scheitern an den falschen Prämissen, die er trotz seines Lippenbekenntnisses zum dialektischen Materialismus nie ernsthaft in Frage stellte.
Und der Situationismus?
»Der einzige Kampf, der das Vergnügen lohnt, ist der Kampf der Individuen für die Konstruktion ihres Alltagslebens« (Raoul Vaneigem)
Entstanden in der Kritik DADAs und des Surrealismus, entwickelte die Situationistische Internationale, Nachfahre des Lettrismus und kleiner linker Zirkel, ab 1957 eine kulturelle Kritik der alltäglichen Entfremdung und so interessante wie fragwürdige Konzepte einer „Gesellschaft des Spektakels“, der Konstruktion von Situationen oder des Umherschweifens:
Da die Diskussion über Ansprüche und Theorien des Situationismus in verschiedenen Teilen der Linken wieder im Schwange ist, werden wir irgendwann auf ihn zurückkommen müssen. Hier nur soviel: In seiner Absicht, die Negation DADAs und das Revolutionäre Positive der Surrealisten zur Aufhebung der Kunst im Leben zu vereinigen, ist er ein leeres Versprechen geblieben. Wie gangbar seine Wege sind, kann am Beispiel der Vereinnahmung eines seiner Kinder, des Punk, beobachtet werden.
„GUERNICA“ – EIN BEISPIEL ENGAGIERTEN SCHEITERNS
„Wir würden gerne zu dritt hingehen und „Guernica“ in die Luft sprengen, aber fürs Bombenlegen sind wir eigentlich alle drei schon zu alt.“
Luis Bunuel
Nach dem Bekanntwerden des Massakers von My Lai in Vietnam (Angehörige der US- Streitkräfte hatten vietnamesische ZivilistInnen niedergemetzelt) forderten einige US-amerikanische KünstlerInnen Pablo Picasso auf, seinen großformatigen Protestschinken „Guernica“ aus dem „Museum of Modern Art“ in New York zurückzuziehen. Nach dem Willen des Malers war das Gemälde während des Andauerns der Franco-Diktatur in Spanien in jenem amerikanischen Kunsttempel im Exil (und das, obwohl das spanische Regime bereits 1963 ein großangelegtes „Museo Picasso“ in Barcelona ermöglicht hatte). Die Chance, die Mörder und Kriegstreiber in den USA durch eine politische Geste des anerkanntesten Malers der Moderne zu brüskieren, die Möglichkeit, durch einen einfachen Schritt Solidarität zu üben, ließ der „Kommunist“ Picasso ungenutzt.
Das Gemälde „Guernica“, mittlerweile eine Ikone von PazifistInnen wie Linken, hatte Picasso 1937 für den spanischen Pavillon der Weltausstellung in Paris gemalt, also im Auftrag der republikanischen spanischen Regierung. Am 26.4.1937 war die baskische Stadt Guernica von Fliegern der deutschen „Legion Condor“ zerstört worden. Ziel dieser Aktion war nicht in erster Linie die Unterstützung der faschistischen Putschisten im spanischen Bürgerkrieg, Ziel war (wie Göring später zugab) die Erprobung der deutschen Luftwaffe und eine Untersuchung der Bombenwirkung. Die Empörung über solch „sinnlose“ Ermordung von ZivilistInnen war weltweit so groß, dass die Faschisten schleunigst erklärten, „rote Horden“ hätten die Zerstörung verursacht.
In dieser Situation also versucht Picasso, dem Grauen, verursacht durch ein Verbrechen der Faschisten, Ausdruck zu geben. Dem Grauen, nicht der Empörung, dem Widerstand oder den Verbrechern selbst gilt seine Aufmerksamkeit. Überfordert durch den Anspruch, den Zeitdruck und wohl auch durch das große Format, greift er auf Versatzstücke seines Repertoires der vorangegangenen Jahrzehnte und die Formensprache seiner Stierkampfstücke zurück. Was er uns zeigt, sind Picasso-Figuren (das übliche Personal: Stier, Pferd, Kind, Frau, Mann), die entsetzt in den Bildraum gucken.
Was „Guernica“ uns zeigt, ist die Unfähigkeit selbst großer bürgerlicher Künstler mit besten Absichten, in ihrem Werk, aus dem Fundus bürgerlicher Ästhetik heraus, politisch klar für die Unterdrückten Stellung zu nehmen.
Zum Ende des kalten Krieges nutzte die Bundeswehr, Nachfolgerin der Mörder von Guernica, Picassos „Guernica“ für eine Werbeanzeige mit dem Text:“Feindbilder sind die Väter des Krieges“
„Die Poesie muß von allen geschaffen sein. Nicht von einem.“
Lautreamont
„Bei einer kommunistischen Organisation der Gesellschaft fällt jedenfalls fort … die Subsumtion des Individuums unter diese bestimmte Kunst, so daß es ausschließlich Maler, Bildhauer usw. ist und schon der Name die Borniertheit seiner geschäftlichen Entwicklung und seine Abhängigkeit von der Teilung der Arbeit hinlänglich ausdrückt. In einer kommunistischen Gesellschaft gibt es keine Maler, sondern höchstens Menschen, die unter Anderm auch malen.“
Marx/ Engels, Die deutsche Ideologie
Der Kapitalismus wird nicht in der Kunst abgeschafft und nicht mit den Mitteln der Kunst. Das heißt allerdings nicht, dass nicht auch KünstlerInnen sich im Kampf für eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung engagieren können, so gut wie z.B. BäckerInnen, und wie diese auch die Fähigkeiten und Möglichkeiten ihres Metiers mitbringen, ohne sich auf sie zu beschränken. Den Kampf in den engen Grenzen ihrer speziellen Tätigkeit mit ihren speziellen Bedingungen sollen sie auch führen, aber ohne in diesen Grenzen zu verbleiben, ohne die Illusion, dort könne der Ausweg liegen (Eine Illusion, die für Intellektuelle offenbar sehr verführerisch ist).
Eine andere Wissenschaft, eine andere Kunst als die in der Klassengesellschaft hervorgebrachte steht uns nicht zur Verfügung. Was wir benötigen, um die alte Gesellschaft niederzureißen, sogar was wir für den Beginn des Aufbaus der neuen Gesellschaft brauchen, finden wir nirgends als in dieser alten Gesellschaft. Auch die Horizonte unseres Wissens, unserer Wünsche werden hier gesetzt.
Jetzt, unter den Bedingungen des Kapitalismus, mit den Beschränkungen des allgegenwärtigen Marktes, muß die Linke das Wissen, die Wünsche und den Hass auf die alte Welt steigern und erweitern. Eine „Aufhebung der Kunst und ihre Verwirklichung im Leben“ ist erst im Kommunismus möglich. Einstweilen bleibt sie für uns eines der Werkzeuge, sich neue Aspekte der sozialen, emotionalen, physischen Wirklichkeit zugänglich zu machen. Ein schnelles und unzuverlässiges Werkzeug, das die wissenschaftliche Annäherung an die Wirklichkeit freilich nicht ersetzen kann, das wir aber auch nicht zugunsten der Wissenschaft beiseite schieben dürfen.
Einstweilen bleibt die Kunst ein Feld, auf dem wir das (falsche oder richtige) Bewußtsein in den verschiedenen Epochen untersuchen können. Wenn ihre Wirksamkeit nicht überschätzt wird, kann sie auch ein brauchbares Mittel sein, das Elend des Überlebens im Kapitalismus zu kritisieren und unsere Ziele umfassend und großzügig zu setzen.
Für eine gründliche Auseinandersetzung mit Kunst brauchen wir nicht die Spezialdiskurse derjenigen führen, denen Kunst oder „Kultur“ erster und einziger Bezug ist. Allerdings wäre es falsch, quasi bei Null beginnen zu wollen, vielleicht ausgerüstet mit kleinbürgerlichen Ressentiments, ein paar Mythen zu Kunst und Kultur und einer Handvoll guter Absichten und sich nicht wenigstens einen Überblick zu verschaffen über den Stand der linken Kunstwissenschaft und den Verlauf der bisherigen Diskussion. Probleme stellen sich hier mehr als genug, mit Kritik brauchen wir nicht zu sparen, kritisieren wir aber auch die Beliebigkeit oder das Desinteresse eines Teils der Linken in kulturellen Fragen! Kritisieren wir immer noch vorhandene „Röhrender Hirsch“-Ansprüche an Technik und Ästhetik! Vor allem aber: Kritisieren wir in linkem Kunstschaffen und Kunstrezeption Mangel an Kollektivität und unkritische Herangehensweise.