Ein Artikel der barricada – zeitung für autonome politik und kultur einem seit längerem eingestellten Projekt der Nürnberger Autonomen, an dem ein paar unserer Redakteure mehr oder weniger intensiv mitgearbeitet oder hin und wieder einmal geschrieben haben. Das Projekt ist seit einigen Jahren tot, doch wir wollen einige der beachtenswertesten und noch immer aktuellen Artikel neu veröffentlichen. Der folgende Artikel erschien in der Juli Ausgabe von 2013.
Sicher ist die Mitarbeit in einer autonomen Gruppe vom revolutionären Standpunkt aus gesehen nützlicher als die Betätigung in einem Dackelzüchterverein. Autonome tragen dazu bei, die Perspektive der Überwindung der herrschenden Verhältnisse gegenwärtig zu halten und weiterzutragen. Sie führen Kämpfe gegen die herrschende Klasse und sind über Grenzen hinweg solidarisch mit kämpfenden GenossInnen überall auf der Welt.
Allerdings hat das Treiben der autonomen Szene und das Mittun dabei noch andere Aspekte als den eigentlichen politischen Zweck. Es ist eine freiwillige Veranstaltung, und für den einen oder die andere entsteht vielleicht der Eindruck, es handle sich bei radikal linker Politik um ein Hobby, dem man einige Jahre lang einen Teil seiner Freizeit widmet. Die ursprüngliche Motivation ist sicher bei den meisten eine politische: Die herrschenden Verhältnisse sind zum Kotzen und man möchte nicht nur jammern, sondern selbst für die Interessen der eigenen Klasse, für die eigenen Interessen und die der gesamten unterdrückten Menschheit aktiv werden – radikal und militant. Ist man dann dabei, organisiert oder als freischwebende/r Genosse/in, können leicht andere Dinge in den Vordergrund treten. Vereinsmeierei, schier endlose Treffen und kräftezehrende Arbeit nehmen einen großen Teil der Zeit ein, die der autonome Mensch seinem politischen Engagement widmen kann. Freude und Lust können selten unmittelbar aus dem autonomen Alltagsgeschäft gezogen werden, sie werden in anderen Bereichen der freien Zeit gesucht – auf ganz ähnliche Weise wie dies durchschnittliche BeamtInnen oder BWL-StudentInnen tun, denn leider sind Teilen der radikalen Linken jedenfalls dialektisches Denken und der Begriff der Totalität abhanden gekommen oder sie sind nicht Willens, dergleichen bei der Reflektion des eigenen Lebens anzuwenden – sofern eine solche stattfindet. Doch dazu später mehr.
Wenden wir uns den Aspekten zu, die dazu verführen können, linke Praxis als eine Freizeitbeschäftigung unter anderen wahrzunehmen. Auch in der autonomen Szene konkurriert man mit anderen um prestigebehaftete Plätze in der Szenehierarchie – denn ohne Wettbewerb und Status macht alles halb soviel Spaß. An Tratsch und Seifenopern mangelt es natürlich auch nicht. Zudem stellt eine linke Szene einen überschaubaren und transparenten Paarungsmarkt dar. Und schließlich: Neben Momenten der Action und einem schönen Gemeinschaftsgefühl bieten Demos interessierten Autonomen Gelegenheit, beim Rufen von Parolen Fremdsprachenkenntnisse zu erwerben. Fast nichts hiervon ist eine Spezialität ausschließlich der autonomen Szene. Sobald eine Gruppe oder Bewegung eine gewisse Größe erreicht hat, lassen sich derartige Phänomene, Produkte der herrschenden Verhältnisse, nicht mehr vermeiden. Sehr problematisch wird es freilich, wenn sie im Bewußtsein und in der Praxis der Akteure in den Vordergrund treten.
Fun, Fun, Fun
Immer wieder predigen manche Strömungen innerhalb der Linken Enthaltsamkeit, Askese, vielleicht sogar den Versuch, sich individuell aus der kapitalistischen Gesellschaft herauszunehmen. Noch heute gilt eine recht amüsierwillige radikale Linke in Teilen der Gesellschaft als lustfeindlich. Forderungen, angesichts des Schlachthauses, zu dem die Profitwirtschaft diese Welt macht, auf eigenes Leben zu verzichten, können durchaus einer tiefen Ernsthaftigkeit, mit der ein Kampf geführt wird, entspringen. Breitere Bewegungen können solchen Forderungen nie wirklich entsprechen. Der Wille, sich zu opfern, ist zudem selbst höchst problematisch. Dieses Thema ist jedoch sicher zu komplex, um es an dieser Stelle auch nur anzureissen.
Jedenfalls gilt: Wenn das Politische keine Freude bereiten darf und nicht lustbesetzt sein soll verdammt das zu einem freudlosen Leben, wenn gleichzeitig der legitime Anspruch erhoben wird, dass das Politische eben das ganze Leben durchdringen soll. Bei Menschen, die innerhalb der autonomen Szene derartige Ansätze verfolgten, war häufig eine „paar-Jahre-Radikalität“ festzustellen, danach erfolgten der Rückzug ins Private, Desillusionierung und häufig die völlige Anpassung. Die Szene selbst pendelte zwischen Thesen wie „Jede Penetration ist eine Vergewaltigung“ in autonomen Männergruppen der 80er Jahre und unreflektierter, vielleicht pc-verbrämter Akzeptanz von tradierten Rollenbildern und dem, was die patriarchale Gesellschaft als geglückte Männlichkeit und Weiblichkeit verkauft; zwischen sehr rigiden Forderungen hinsichtlich der Lebensführung von Individuen und beinahe völliger Abtrennung des privaten Bereichs. Selbstverständlich befinden sich diese Tendenzen in einem Wechselspiel. Vieles, was in der Linken immer wieder an patriarchaler Scheisse hochkommt oder dass Teile der Szene manchmal zu einer Spielwiese für Testosteronopfer beiderlei Geschlechts zu verkommen drohen ist als schlechte Reaktion auf eine rigide puritanische Szenemoral und Sittenpolizei zu verstehen, die das Basteln an sich selbst und Arbeit an den anderen in den Mittelpunkt politischen Denkens stellt.
Linken AskeseideologInnen und linken HedonismuspredigerInnen ist der Fokus auf das Individuelle gemeinsam, und dies im schlimmsten Fall losgelöst von der Reflektion des Verhältnisses von individueller Lebensführung und Gesellschaft.
Einige wollen im „Feiern“, im individuellen Genuss, eben im angeblich „schönen Leben“ schon unter der Herrschaft des Kapitalismus einen subversiven politischen Weg sehen. Über die angeblichen Möglichkeiten hedonistischer Praxis gäbe es einiges zu schreiben. Ebenso über die tatsächlich nicht regressiv-eskapistischen und affirmativen Aspekte des Spaßhabenwollens. Zum Glück reicht der Platz auch hierfür in dieser Ausgabe nicht aus, denn die werten AnhängerInnen der hedonistischen Szene neigen auch bei sachlicher Kritik an ihrem Steckenpferd dazu, reflexartig die schlimmsten Befürchtungen ihrer KritikerInnen zu bestätigen. Menschen, die hedonistische Politentwürfe einer Kritik unterziehen oder – schlimmer noch – nicht mittun wollen im Spaßbetrieb, werden häufig in Mob-Manier pathologisiert. Die gar nicht mehr spaßigen Reaktionen reichen von gönnerhafter Ignoranz bis zu offener Aggression. Perfide oder einfach nur blöd ist es, wenn KritikerInnen des angepassten, banalen, entfremdeten und weiter entfremdenden Amüsierspektakels vorgehalten wird, sie seien lustfeindlich oder gar konformistisch, wenn sie das in Frage stellen, was im Kapitalismus als gelungenes Rekreationsverhalten der menschlichen Marktobjekte gilt.
Dass das Wirken in autonomen Kreisen häufig auch ein Adoleszensphänomen ist (wenn auch in der Nürnberger Region weniger als in anderen Städten) wird an der Fluktuation und dem Altersdurchschnitt der Autonomen deutlich. Wenn es auf das zweite Staatsexamen zugeht oder die Festanstellung bei der evangelischen Kirche winkt, werden riots und militante Aktionen unattraktiver. Im Zuge des Wandels der eigenen Praxis ändert sich dann in der Regel auch die Ideologie. Sicher: Man entwickelt sich. Auffällig ist aber doch, dass die neuen Erkenntnisse sich fast immer gut in die neue Lebenssituation fügen.
Rückzug aus der Unlust
Wer die autonome Szene schließlich verlässt, befreit sich von politischer Arbeit, die offenbar als quälender Anspruch und lästige Pflicht empfunden wird. Freude und Lust wurden schon vorher ausgelagert in den sakrosankten und höchst privaten Bereich der Freizeit, in dem eifrig Genussarbeit geleistet und das umfangreiche (auch nicht-virtuelle) soziale Netzwerk gepflegt wird. Zu was diese Vergnügungsarbeit dann schließlich gerät, wäre wiederum Thema einer antikapitalistischen Hedonismuskritik. Freilich gehen nicht alle den Schritt, ihr privates Amusement für politische Fortschrittlichkeit auszugeben. Für viele aber ist ihr Privatbereich ein Feld, in dem Politik nicht stattfindet und die ansonsten geäußerten Überzeugungen nichts zu suchen haben.
Die unlustigen Momente politischer Arbeit sind natürlich notwendig und gehören dazu. Sie dauerhaft auszuhalten verlangt lediglich ein wenig Geduld, Abstraktionsvermögen und vor allem den Willen, die Verhältnisse (auch die eigenen) in ihrer Totalität zu begreifen. Autonome, die ihre politischen Aktivitäten eventuell als Hobby begreifen, das ihr Leben nicht zu durchdringen hat, haben in der Regel wenig Schwierigkeiten, zu einem elaborierten Selbstmanagement zu greifen, um den Anforderungen, die Schule, Studium, Arbeitsplatz, soziales Umfeld usw. stellen, gerecht zu werden. Die tools und skills, die das in der kapitalistischen Metropole fuktionierende und sich illusorisch selbstverwirklichende Subjekt braucht, werden von Wirtschaftspsychologie, Pädagogik und anderen Disziplinen zur Verfügung gestellt und häufig erschreckend unkritisch übernommen.
Wir propagieren hier nicht die Forderung vieler Autonomer in den 80er Jahren, Ausbildung und Studium abzubrechen und sich ganz und ausschließlich der Politik zu widmen.
Es gibt jedoch einen bedeutenden Unterschied zwischen dem Bestreben, sich im Gefüge der kapitalistischen Wirtschaft einzurichten um es sich in der kapitalistischen Gesellschaft gemütlich zu machen und der Berücksichtigung der Tatsache, dass man als Lohnabhängige/r gezwungen ist, die eigene Arbeitskraft zu verkaufen.
Nicht nur private Welt, auch die Arbeitswelt (und die Vorbereitung dafür in Studium oder Ausbildung) bleibt aber in der Regel getrennt vom politischen Engagement. Je mehr Bereiche unberührt bleiben vom politischen Denken und Engagement, desto mehr gerät dieses Engagement zu einem belanglosen Hobby, das ganz sicher irgendwann keine Freude mehr bereiten wird. Je mehr die Selbstdisziplin dem vorbehalten bleibt, was als „der Ernst des Lebens“ gilt, umso unbefriedigender wird die politische Arbeit.
Eine radikale Haltung ist etwas, das das ganze Leben in jedem seiner Aspekte durchdringt – doch dies muss gerade nicht bedeuten, kein Leben außerhalb der Arbeit für die Szene zu haben. Autonome Radikalität zu leben bedeutet auch, die Verhältnisse ernsthaft ändern und zunächst tatsächlich erkennen zu wollen. Die Freude an der Erkenntnis geht einher mit der Kränkung des erkennenden Menschen, denn das von den herrschenden Verhältnissen geformte, entfremdete Individuum kann die Verhältnisse nur um den Preis der Aufgabe des bisherigen Selbstbildes erkennen.
Das Potential eines nicht entfremdeten Lebens zu erahnen und die Menschen in ihrem jetzigen, vom Markt geformten und auf ein Vegetieren im Kapitalismus zugerichteten Zustand zu sehen ist nicht mit Spaß oder Freude verbunden. Momente der praktischen Empörung gegen das derzeit bestehende System, der einzige uns mögliche Anflug von Befreiung, nämlich der Kampf gegen die Fesseln, die der Kapitalismus der Menschheit angelegt hat, können dagegen sehr wohl viel Freude bringen. Eine Freude, deren Hintergrund immer Wut und Verzweiflung über den jetzigen Zustand der Welt bilden.
Erschienen in barricada – Juli 2013