Torsten Bewernitz hat sich mit seiner neuesten Schrift „Syndikalismus und neue Klassenpolitik“ in die Diskussion um genau diese eingebracht. Wie wir bereits im Magazin (1,2) und auch andere (LCM) schon bemerkt haben, bringt die ganze Diskussion nichts, wenn aus ihr heraus keine Praxis entsteht. Mit diesem Buch macht Bewernitz einen Vorschlag, wie die radikale Linke ihre neue Klassenpolitik praktisch angehen könnte. Eine Pflichtlektüre, für alle, die ernsthaft an der Diskussion interessiert und bereit sind, ihren politischen Aktivismus dahingehend zu hinterfragen und neu auszurichten.
Der Autor stellt zunächst fest, dass wir uns in einer historischen Defensive befinden. Die ArbeiterInnenklasse habe im Betrieb, sowie in dem Staat in dem sie lebt, so wenig Einflussmöglichkeiten, wie lange nicht mehr. Sie befände sich in einer scheinbar ausweglosen Situation, geprägt von Unsicherheit und Angst. Daher würden die Menschen nicht mehr an eine erfolgreiche Revolution glauben. Das Problem seien nicht unsere Utopien, sondern die Tatsache, dass sie den Leuten so unrealistisch erscheinen. Der aufgekommene Rechtspopulismus sei ein direktes Resultat dieser historischen Schwäche der ArbeiterInnenklasse und der verpassten Chance, das Potential der Krise seit 2007 von links zu nutzen und in die Offensive zu kommen. Gerät die Linke aber in einer Krise in die Defensive, verbreitet sich die ökonomische Unsicherheit und die Krise schlägt um, von einem revolutionären, zu einem regressiven Moment. Dies stärkt rechte Kräfte, indem sie die Unsicherheit angstpolitisch nutzt um die Privilegien von „innen nach außen“ hin zu verteidigen.
Bewernitz schaut sich als nächstes an, wie es aktuell um den Syndikalismus in Deutschland steht. Dabei stellt er den Widerspruch zwischen dem Anspruch der syndikalistischen Gewerkschaften, Massenorganisationen zu sein, und der Realität, tatsächlich nur eine kleine Gewerkschaft zu sein, heraus. Er betont, dass der Syndikalismus eigentlich keine Ideengemeinschaft sein sollte, sondern vielmehr eine Organisierung von Menschen mit ähnlichen (klassenpolitischen) Interessen1, die auf die Selbsttätigkeit der ArbeiterInnen baut. In der FAU sieht er aktuell das komplette Gegenteil davon: „Was nutzen uns, für die lokalen und betrieblichen Kämpfe, ‚Prinzipien […] Gewerkschaftsausweise, eine zentrale bundesweite Zeitung etc., wenn es an Kämpfen, an Praxis mangelt?“. So richtig der Gedanke anfänglich erscheint, kann aber bezweifelt werden, ob dies in Zeiten in denen die Menschen nach Orientierung suchen, der richtige Ansatz ist. Sicherlich benötigen wir mehr „Realpolitik“ statt revolutionärer Phrasendrescherei, wenn wir eine andere Gesellschaft auch nur annähernd denkbar machen wollen. Ein konsequente antikapitalistische Position, sollte darf aber nicht versteckt werden.
Der Autor schlägt stattdessen eine neue Strategie vor: Eine Organisationsform, die weder Partei noch Gewerkschaft ist und auch nicht mit ihr konkurriert, wie etwa die kleinen radikalen Gewerkschaften (IWW und FAU) zum DGB. Konkret meint er eine Vernetzung von Worker Centers, die im prekären Bereich agieren, migrantische und geschlechtliche Themen integrieren und Stadtteilarbeit machen. Er stellt sich eine Anlaufstelle für alle Probleme der ArbeiterInnen im prekären Bereich vor, die zudem den fehlenden sozialen Raum, an dem die Klasse zusammenkommt (da es in der Arbeit immer zerstreuter wird und die Eckkneipe auch zunehmend Geschichte ist), ersetzen könnte. Diese Orte sollten aber keine Szene-Treffpunkte sein, da sie so ihren eigentlichen Zweck verlieren.
Mit der so neu entstehenden Gegenmacht, könne man den DGB auch teilweise unter Zugzwang setzen, ohne seine eigene Radikalität zu verlieren. Viele Kämpfe sind eben nicht ohne ihn zu gewinnen, wenn man etwa gerichtliche Auseinandersetzungen denkt. Bewernitz plädiert dafür, die Kräfte von Linken innerhalb und außerhalb des DGB in den genannten Worker Centers zu bündeln und sinnvoll miteinander zusammenzuarbeiten, um dem Feind etwas entgegensetzen zu können.
Zugegebenermaßen ist der Vorschlag von Bewernitz keine neue Erfindung und spart eben auch an der spannenden Stelle, wie so ein Worker Center denn gemacht werden muss, damit auch Leute kommen und sich beteiligen. Doch er geht deshalb in die richtige Richtung, weil er zur Praxis drängt. Viele Konzepte der Stadtteilarbeit scheiterten in der Realität und auch dieses Konzept der Worker Centers ist nicht davor sicher. Völlig zu recht bemerkt das auch der Verfasser, demzufolge es auch erst einmal darum geht, herauszufinden, was die ArbeiterInnen denn eigentlich brauchen (evtl. ja gar keine Worker Centers). Man bräuchte zunächst einmal ein besseres Bild über die Klassenzusammensetzung. Dies kann aber auch erst im Laufe der Praxis entstehen. Denn erst durch die Praxis kann man sein Scheitern erkennen und Korrekturen vornehmen. Funktioniert etwas, wunderbar. Funktioniert es nicht, muss man herausfinden warum und anders vorgehen. So tastet man sich nach und nach an die richtige Strategie heran, die natürlich in jedem Viertel, in jeder Kleinstadt, nicht komplett gleich aussehen wird.
Wir haben also keine Zeit mehr zu verlieren. Die radikale Linke braucht eine Basis, die sie sich hier in der BRD leider nun einmal erst aufbauen muss. Dahingehend sollte man seine Prioritäten setzen.
Torsten Bewernitz, Syndikalismus und neue Klassenpolitik.
Die Buchmacherei, Berlin Mai 2019, 70 Seiten, 7€.
1Ähnlicher Vorschlag wurde bereits 2017 in der Zeitung der Föderation deutschsprachiger AnarchistInnen der Gǎi Dào #89 05.2018 gemacht, Die politischen Gruppen sind nicht die Lösung, sie sind das Problem!