Die Netflix-Serie „Wir sind die Welle“
– Spoiler-Warnung –
Schauplatz der seit 1. November auf Netflix verfügbaren Serie ist eine beliebige, behäbige Kleinstadt in Deutschland. In die Abschlussklasse des Geschwister-Scholl-Gymnasiums kommt ein neuer Mitschüler: Tristan, 17 Jahre alt, Bomberjacke, Jogginghose, Pauli-Shirt und unfassbar sexy, wie wir später noch erfahren ausgebüchster Diplomatensohn, Halbwaise, Dealer, Hamburger Autonomer und im offenen Vollzug der örtlichen JVA um sein Abitur zu beenden.
Gleich in der ersten Pause gibt’s Stress mit der schuleigenen Nazi-Bande. Tristan packt erst ein paar lässige Moves aus, schnappt sich dann den Anführer der Gruppe und küsst ihn herzhaft auf den Mund um ihn danach auf scheinbar progressive Art als Schwuchtel zu bezeichnen. Ein Schlüsselmoment in seiner Charakterisierung.
Im weiteren Verlauf sehen wir wie er der gemobbten Mitschülerin Zazie wieder auf die Beine hilft und deren über den Boden verstreute Zeichnungen aufsammelt, sich auf der Schultoilette mit Rahim, dem einzigen Ausländer der Schule, auf Arabisch unterhält und anschließend für Lea, die ihm eine Führung durch das Schulgebäude gibt, virtuos Klavier spielt. Beim Klassenausflug in eine ortsansässige Fabrik solidarisiert sich Tristan dann noch spontan mit Hagen, dessen elterlicher Bauernhof aufgrund der durch die Firma verursachten Umweltverschmutzung vor die Hunde gegangen ist.
Tristan, Zazie, Rahim, Lea, Hagen: „Die Welle“ – so die Selbstbezeichnung – ist komplett. Die Zeit, die ihr gerade gebraucht habt um den ersten Absatz zu lesen, benötigt die Serie, um eine schlagkräftige, illegal operierende Gruppe aufzubauen, von deren Aktionsfähigkeit die radikale Linke nur träumen kann.
Im selben Tempo geht es weiter. Schnell werden ein paar Charakter-Skizzen hingerotzt. Lea, als eine Art FridaysForFuture-Aktivistin angelegt kommt aus wohlhabendem Hause und später mit Tristan dem verführerischen Autonomen zusammen. Hagen ist ein Klischee von einem Bauernsohn, bald verbandelt mit Zazie, welche wiederum das Klischee einer Person ist, die lernt nicht länger die andere Wange hinzuhalten und dabei übers Ziel hinausschießt. Zum Schluss noch Rahim, dessen Familie gerade von einem Immobilien-Investor aus der Wohnung gedrängt wird.
Danach jagt eine Aktion die nächste und die Gruppe begnügt sich nicht lange mit Graffiti und lustigen Videos gegen Plastik-Müll: Der Schlachthof wird gestürmt, das Aktionärs-Dinner des Immobilien-Multis mit einem Haufen Maden als Hauptgang gesprengt und der lokale AfD-Führer (in der Serie NfD) entführt und im Museum in Nazi-Uniform ausgestellt.
Die Regie muss immer noch eine entzündete Sehnenscheide haben, so schnell wird die Eskalationsspirale angekurbelt. Als Lea nach einer Aktion auf der Flucht von einem Polizisten angeschossen wird, radikalisiert sich die Gruppe weiter: Die Staffel gipfelt in einem Bombenanschlag auf die lokale Waffenfabrik.
Soviel zur Handlung. Die dargestellten Aktionen machen Spaß beim Zusehen, keine Frage. Viel spannender und noch mal kritischer ist jedoch der Subtext und das Framing der Serie zu betrachten.
Die Serie arbeitet alle aktuell relevanten gesellschaftlichen Themen ab, ist angesiedelt im Hier und Jetzt und suggeriert dabei durch die Rahmung eine Darstellung des real Möglichen.
Dass ein Hauptkommissar Mitglied einer faschistoiden Partei ist, sich über einen Kollegen die Akten politischer Gegner verschafft und nachdem er Lea angeschossen hat lediglich vom Dienst suspendiert wird, ist dabei noch das Realistischste.
Darüber hinaus strotzt die Serie vor Logik-Fehlern und unfassbar unrealistischen Grundannahmen.
Ansonsten wird uns erzählt, es gäbe ein relevant hohes Gewaltpotential innerhalb linker Bewegungen, was allein schon angesichts staatlicher Kriminalitäts-Statistiken ziemlicher Quatsch ist. Quasi nebenbei besorgt sich Tristan über alte Hamburger Kontakte Sprengstoff, Zazie liebäugelt mit der Waffe im Wandschrank ihres Großvaters und permanent wird in hochgesicherte Gebäude eingebrochen. Darüber hinaus wird uns exemplarisch die angebliche Verführbarkeit von Verfechter*innen legitimer Anliegen (Wohnungspolitik, Ökologie) durch linksradikale, verfassungsfeindliche, ergo bösartige Elemente vorgeführt.
Auf der anderen Seite sind die Miethaie, Nazis, bösen Bullen und Firmenbosse so sehr einfältige Karikaturen von Miethaien, Nazis, bösen Bullen und Firmenbossen, dass man beim Zusehen gar nicht erst auf den Gedanken kommt, das Böse könnte banal (also durchaus mal intelligent, sprich gefährlich) oder gar strukturell sein.
Und der – daraus resultierende – problematischste Punkt ist schlussendlich der Name der Serie und Aktivist*innen-Gruppe. Der Produzent der Serie Dennis Gansel führte Regie bei der Verfilmung des Buchs „Die Welle“ von Morton Rhue. Die klassische Schulbuchlektüre ist ein Lehrstück über die Vereinnahmungsfähigkeit faschistischer Sozialstruktur anhand eines ausufernden Schulexperiments.
„Wir sind die Welle“ ist die Adaption des Films als Netflix-Serie. Nur wird hier in Tradition der Hufeisentheorie der Faschismus ausgetauscht gegen linke Veränderungsbestrebungen. So wundert es auch nicht, dass in der Serie kaum inhaltlicher Diskurs stattfindet. Der Fokus liegt auf angeblich vergleichbarer Aktionsform und Gruppendynamik.
Dabei geht die Serie noch nicht einmal besonders undifferenziert mit dem inhaltlichen Stoff um, die Handlungsmotive werden durchaus als legitim anerkannt – was im Original allerdings auch der Fall ist.
Was sich viel eher aufdrängt, ist die Frage warum zur Hölle man aus einer Vorlage die den Faschismus als reale Gefahr behandelt in einer Zeit, in der der Faschismus eine greifbare Bedrohung ist, eine Serie machen muss, die linke Gewalt als präsentes Szenario darstellt.
Hierbei plumpe Diffamierung zu unterstellen, wäre zu einfach. Dafür sind die Charaktere zu sehr Sympathie-Träger*innen und Identifikationsfiguren. Letztendlich wird die Fragestellung nach dem Verhältnis von Zweck und Mittel aufgeworfen. Beantwortet wird diese zwar auch nicht ausschließlich schwarz-weiß, aber es ist selbstverständlich klar, dass es nicht okay ist, der Rektorin, die ihre Schüler*innen an die Polizei ausliefert, die Autoreifen aufzuschlitzen und symbolischer Protest gegen Waffenhandel sei zwar schön, aber dann auch noch dabei was kaputt machen geht gar nicht.
Der YouTuber LeFloid verweist in seiner (von Netflix gesponserten) Rezension permanent auf die Mündigkeit der Konsument*innen und die Freiheit der Kunst zum Anstoß gesellschaftlicher Debatte. Dafür zieht er affirmativ folgenden SocialMedia-Kommentar heran: „Zu sagen, dass #wirsinddiewelle rechte Propaganda ist, ist offiziell das dümmste was ich diese Woche gehört hab. Wieso soll die Darstellung von beidseitigem Extremismus rechts sein?“
Der Kommentar thematisiert unbewusst das zentrale Problem hierbei: Die Mündigkeit der Konsument*innen hängt von deren Informationsstand ab. Und wenn der das Wissen um die Entstehung, die ideologischen Komponenten und die wissenschaftliche Haltlosigkeit der Extremismus-Theorie nicht einschließt, dann ist auch nicht mehr viel los in Sachen mündiger Rezeption.
Weiter meint LeFloid die Serie veranschauliche und kritisiere im Gegensatz zu „Die Welle“ die Entstehung führerloser, ebenso gefährlicher Gruppendynamik. Die Darstellung dieser gefährlichen Gruppendynamik ist in der Serie jedoch so vorhersehbar, unlogisch und peinlich inszeniert, dass man sich schlicht fragen muss ob für die angestrebte Beweisführung nicht einfach die Beweise gefehlt haben.
Es ist dennoch gar nicht mal so einfach, diese Serie als ausschließlich subtil-propagandistisches Machwerk abzutun, dessen Subtext eine Einhegung jugendlichen Protests auf einen systemkonformen Rahmen als wünschenswert erscheinen lässt. Das ist sie zwar auch, vordergründiger ist allerdings, dass man zu jedem Zeitpunkt fühlt, wie zwanghaft kalkuliert die Macher*innen auf der zeitgeistigen Welle mitsurfen wollen. Die Quote fest im Blick entwickelt sich dabei ein filmisch gut umgesetztes Werk, das ein bisschen was riot-pornöses, voyeuristisches hat.
Wer Lust auf plakativen Polit-Thrill, Klischees und gut gemachte Action hat und gerne zynisch-distanziert lacht, kann sich das durchaus antun.
Unserer Gesellschaft wäre zu wünschen, dass es davon keine zweite Staffel geben wird.
Von: Jenny Znayu
Eine Antwort auf „Tsunami-Voyeurismus“
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