Das folgende Interview wurde von Frauen der Gruppe Proletarische Autonomie Magdeburg, als Teil der Volkkstimmungsredaktion, mit einer Magdeburger Frau am 16. Februar 2020 geführt.
Die Magdeburger Volksstimmung ist eine lokale Zeitung, die kostenlos in den Nachbarschaften Stadtfeld Ost und West in die Briefkästen gesteckt und direkt an die Menschen verteilt wird.
Als PDF verfügbar.
Danke, dass wir heute das Interview mit dir machen dürfen. Stell dich doch bitte einmal kurz vor.
Ich bin 1949 hier in Magdeburg geboren und habe auch immer in Magdeburg gelebt. Mit 14 Jahren bin ich damals in die Produktion gegangen, weil ich meinen Traumberuf der Gärtnerin nicht erlernen durfte. Man sagte mir, ich sei zu dürr und würde keinen Schippenstiel hochbekommen… Aus Protest bin ich dann in die Produktion gegangen! Meinem Vater habe ich aber versprochen, dass ich mich weiterbilden werde. Das habe ich dann auch gemacht, zuerst als Maschinenbuchhalterin in der Stadtsparkasse und dann in den Gewächshausanlagen als EDV-Facharbeiterin. Ich bin seit 10 Jahren geschieden und lebe allein mit einer Katze. Als Jugendliche war ich in der FDJ und später im FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund, Anm. d. Redaktion) organisiert. Seit 43 Jahren bin ich nun Gewerkschaftsmitglied. Nach dem Ende der DDR war ich für viele Jahre nicht mehr organisiert, da ich als überzeugte Sozialistin von der SED-Führung und ihrem revisionistischem Verrat lange Zeit enttäuscht war. Heute bin ich im Frauenverband Courage. Im Jahr 2011 waren wir u.a. bei der ersten selbstorganisierten Weltfrauenkonferenz in Venezuela dabei.
Nun kommen wir zum eigentlichen Anliegen. Kannst du uns etwas über die Situation der Frauen in der DDR während der Anfangszeit erzählen?
Für Frauen, die in den Betrieben arbeiteten, gab es sogenannte „Heinzelmännchenbrigaden“, die die Frau bei der Hausarbeit entlasten sollten. So wurde zum Beispiel dreckige Wäsche direkt von zuhause abgeholt und danach gewaschen und gebügelt wieder zurückgebracht. Außerdem wurden die Kinder in den Kindergärten ganztägig versorgt und bekamen ihr Essen in der Kantine, sodass die Frau nach Feierabend nicht erst noch die ganze Hausarbeit erledigen musste, sondern Zeit für sich und die Familie genießen konnte. Einen Tag im Monat wurden die Frauen von der Arbeit freigestellt. Sie bekamen einen bezahlten freien Tag, um Wege erledigen zu können, die sie aufgrund ihrer Vollzeitbeschäftigung – Teilzeitbeschäftigungen gab es ja kaum – und der Kinder nicht geschafft hätten. So konnten wir diesen Tag für unsere persönliche Weiterbildung und unsere Familie nutzen.
Wie entwickelte sich dann das Ganze im Verlauf der DDR? Wie sah denn allgemein die berufliche Situation für Frauen aus?
Diese Heinzelmännchenbrigaden wurden später leider aufgelöst. Ein Grund dafür war natürlich auch der technische Fortschritt, der z.B. in Form von Waschmaschinen die Hausarbeit erleichterte. Die Auflösung der Heinzelmännchenbrigaden führte dazu, dass Frauen wieder verstärkt die Hausarbeit erledigten. Auch in der Berufswelt der DDR gab es die typischen „Frauenberufe“, die schlechter bezahlt wurden als „Männerberufe“. Außerdem waren die hohen Generaldirektorenposten den Männern vorenthalten. Frauen konnten zwar auch Abteilungsleiterinnen werden, aber die ganz hohen Posten wurden mit Männern besetzt. Man sieht also, dass das Patriarchat auch in der DDR nicht abgeschafft wurde. Das Hauptaugenmerk der Frauen sollte bei der Familienarbeit liegen. Wenn z.B. das Kind krank war, blieb die Frau zuhause von der Arbeit und kümmerte sich um das Kind. Wenn eine Frau allerdings in handwerklichen Berufen oder an der Werkbank arbeitete, so verdiente sie genauso viel wie der Mann neben ihr. Ich möchte noch ergänzen, dass die Frauen finanziell nicht abhängig vom Mann waren, auch wenn sie gegebenenfalls weniger Lohn verdienten. Mit dem Geld was sie hatten, kamen sie auch mit Kindern allein über die Runden.
Wie sah es mit der Selbstbestimmung über den eigenen Körper aus und dem Ausleben der eigenen Sexualität?
Seit 1974 gab es ein Recht auf kostenlose Abtreibung. Auch die Pille war kostenlos. Wir konnten bestimmen, möchte ich ein Kind haben oder nicht. Das war eine große Befreiung. Ich denke dabei auch an meine Mutter, die sieben Kinder gebar – und die sie bestimmt nicht alle bekommen hätte, wenn sie frei über ihren Körper hätte entscheiden können.
Du hattest vorhin erzählt, dass die Frauen diese Möglichkeiten der Selbstbestimmung auch ausgiebig nutzten, sodass der Staat hinsichtlich seiner Produktionsleistung irgendwann in „Kindernot“ geriet. Vielleicht kannst du uns kurz die Methoden nennen, mit denen versucht wurde, Frauen Anreize zu geben, wieder mehr Kinder zu gebären.
Ja, es gab diesen sogenannten Geburtenknick. Der Staat hat sich dann überlegt, wie komme ich wieder zu Kindern. Zum Beispiel gab es bei einer Eheschließung einen staatlichen Kredit von 5000 Mark. Bei der Geburt eines Kindes musste das Ehepaar davon nur noch 4000 Mark zurückzahlen, bei zwei Kindern nur noch 3000 Mark und ab drei Kindern musste man nichts mehr zurückzahlen. Die Summe, die eventuell schon selbst an den Staat zurückgezahlt wurde, wurde auch wieder ausgezahlt.
Jetzt reden wir ja die ganze Zeit über typische Mann-Frau-Familien. Wie sah es denn mit Homosexualität aus in der DDR? Konnten auch Lesben ihre Sexualität offen ausleben?
Darüber wurde überhaupt nicht geredet. Darüber wurde geschwiegen. So etwas gab es in diesem dann doch sehr patriarchalen Sozialismus quasi nicht.
Das ist sehr interessant, nicht? Normalerweise kennt man diese Unterdrückung von Homosexualität primär aus eher streng religiösen Staaten bzw. Gesellschaften. Und die DDR war ja nun doch ein Staat, der mit Religion so gar nichts am Hut hatte.
Ja. Man sagt ja auch immer, die kleinste Zelle des Staates sei die Familie. So hieß es auch in der DDR, nur dass eben einer patriarchalen Auffassung nach der Kern des Sozialismus die heterosexuelle Familie sei. Für die Familie im Allgemeinen wurde sehr viel getan. Es wurden Urlaube im FDGB-Heim organisiert oder Kinderferienlager für ganz wenig Geld veranstaltet, sodass die Eltern auch mal Zeit für sich hatten und die Kinder Abenteuer erleben konnten. Aber über Homosexualität wurde leider überhaupt nicht geredet.
Ich hätte jetzt noch ein paar Fragen über die Wendezeit an dich. Es gab dann ja 89/90 diese große Umbruchzeit und schließlich den Anschluss an die BRD. Wie war da die Stimmung unter den Frauen? Was waren Forderungen?
Die Stimmung war: wir wollten eine andere, besser DDR haben. Wir wollten den wirklichen Sozialismus haben, der uns immer versprochen wurde, aber so nicht existierte. Zum Beispiel gab es ja die VEB (volkseigenen Betriebe, Anm. d. Redaktion), aber es wurde nicht wirklich für das Volk, also für uns produziert. Wir wollten eben auch all das konsumieren können, was wir produzierten. Der Ausverkauf der Waren hat die Menschen erzürnt. Wir wollten auch, dass der Lohn unserer Arbeit, also unser Geld, etwas wert war, dass wir reisen konnten und sowas. Dafür sind wir auf die Straße gegangen. Wir wollten keinen Kapitalismus.
Wie würdest du die Veränderungen einschätzen, die da passiert sind? Kam es zu einer Verbesserung oder zu einer Verschlechterung für die ostdeutschen Frauen?
Nach meiner Einschätzung ist es für die Frauen schlechter geworden. Zum Beispiel wurden Rentenversprechen an die Frauen nicht eingelöst. Beim Einigungsvertrag wurde ein großer Rentenbetrug begangen. Krankenschwestern und Friseurinnen, und andere Frauen in „Frauenberufen“, bekamen damals weniger Lohn und es wurde ihnen versprochen, dieses Geld nachträglich auf die Rente zu legen. Das wurde beim Einigungsvertrag einfach unter den Tisch gekehrt. Auch die in der DDR geschiedenen Frauen bekommen keinen Rentenausgleich. Sie gehen schon seit Anschluss an die BRD dagegen auf die Straße, waren auch schon in Brüssel. Sogar aus Brüssel hieß es, dass die BRD das ändern müsse, dass das eine Ungleichheit sei. Wir werden sehen, was daraus wird. Aber vermutlich wartet man auf eine biologische Lösung des Problems. Viele Frauen sind dann ja doch schon sehr alt und teilweise verstorben und werden wohl kaum noch in den Genuss ihrer vollen Rente kommen… Außerdem werden heutzutage viele Frauen nur noch in Teilzeit eingestellt und müssen schlechter bezahlte Berufe ausüben. Dadurch verdienen sie noch weniger als die Männer. Auch in der DDR gab es ja die schlechter bezahlten „Frauenberufe“, aber die soziale Benachteiligung und das Armutsrisiko waren aufgrund anderer Absicherungen nicht so hoch wie heute. Heute muss die Frau ja auch alles Mögliche selbst bezahlen, was früher übernommen wurde und Schwangerschaftsabbrüche sind eingeschränkt. Ich würde sagen, sie kann nicht mehr so selbstbestimmt leben wie früher.
Jetzt haben wir noch ein wenig Platz für dein Fazit bzw. letzte Worte, die du noch mit uns teilen möchtest.
Zu meiner Scheidung möchte ich noch etwas sagen. Als mein Mann nach der Wende arbeitslos wurde, hat er damit nicht nur seine Arbeit, sondern auch seine Identität verloren und bekam ein Alkoholproblem. Daran ist schließlich unsere Ehe gescheitert. Und das ist kein Einzelschicksal. Nach der Wende sind viele Ehen zu Bruch gegangen. Meine Mutter hat uns damals schon in anderer Hinsicht gewarnt: „Freut euch nicht auf den Kapitalisten. Der gibt euch fünf Mark und nimmt euch sieben Mark wieder weg.“ Und heute ist es so, dass du 5 Euro bekommst und dir 7 Euro wieder weggenommen werden… Als Fazit würde ich sagen, wir hatten damals ein anderes Frauenbewusstsein. Wir waren selbstbestimmter und dadurch selbstbewusster. Das vermisse ich heute. Wir sollten wieder dafür kämpfen, dass wir als Frauen etwas wert sind.
Das war‘s erstmal von meiner Seite aus. Ich danke dir für die ausführliche Beantwortung der Fragen und den sehr interessanten und auch persönlichen Einblick in dein Leben als Magdeburger Frau.