Von: Pierre Rouge
Wer kennt s nicht? Man geht als Linker einer seiner wichtigsten Tätigkeiten nach, nämlich in seinem direkten Umfeld im Privaten sowie in der Arbeit über Politik zu sprechen und der Befreiung der Menschheit das Wort zu reden und es taucht das Thema auf, um das man nie herumkommt. Man labert die Leute voll mit Kritik am Kapitalismus, die sie oft ja selbst auch haben. Der Knackpunkt kommt dann meistens mit der Frage: ja, aber was sollen wir denn stattdessen machen? Sozialismus hat ja auch nicht funktioniert. Und schon ist man mitten in einer Realsozialismus- Debatte.
30 Jahre nach dem Ende des Ostblocks und damit dem endgültigen weltweiten Siegeszug des Kapitalismus braucht es einen nicht verwundern, wenn den Menschen die Träume abhanden gekommen sind. Denn wir reden hier nicht nur von einem rein ökonomischen Sieg. Viel Schlimmer sind die ideologischen Auswirkungen. Was mit dem faschistischen Putsch in Chile 1973 begann und in den 80er Jahren im Westen mit Thatcher, Reagan und Kohl weiterging, wurde ab 1990 auf die ganze Welt ausgeweitet und hat verheerende Folgen, bis heute. Der Neoliberalismus ist ein ideologischer Feldzug gegen alle Alternativen zum Kapitalismus. Er ist bis heute hegemonial in jeder öffentlichen Diskussion. Nur in Krisenzeiten bricht diese Hegemonie etwas ein, um aber danach bisher immer wieder bestimmend zu werden. Aktuell erleben wir wieder so einen Einbruch.
Diese Ideologie hinterlässt Spuren in allen Teilen der Gesellschaft. Wir kennen die Sprüche aus alltäglichen Gesprächen: „Du bist deines Glückes Schmied, jeder kann es schaffen, wer arm ist, ist selbst daran schuld.“ etc. Besonders traurig ist es für uns Linke, wenn solche Sätze von Leuten kommen, die eigentlich unser ureigenes Klientel sein sollten – Diejenigen, die in dieser Gesellschaft unten sind. Hilflos stehen wir den ideologischen Riesengeschützen von Springer und Co gegenüber und verzweifeln regelmäßig an dem Versuch, dem noch etwas entgegenzusetzen. Unsere Seite hat diese Propaganda-Geschütze nicht mehr. Die deutsche Geschichte tut ihr übriges dazu. Linke Traditionen wurden hier durch Faschismus und Antikommunismus im Staat bis heute besonders hart gebrochen.
So stehen wir also da, 30 Jahre nach dem Untergang der DDR und werden immer wieder dazu gezwungen, über diesen sozialistischen Versuch zu sprechen, ob wir es wollen oder nicht. Da zählen keine billigen Ausreden. Wer in diesem Land von Sozialismus redet, dem wird nicht über den Weg getraut. „Mauerschützen, Stalin, Stasi, findest du das etwa gut?“ Jetzt kann man versuchen mit einem billigen Trick aus der Nummer herauszukommen, indem man sich komplett vom Realsozialismus distanziert. Das wird einem aber eh nicht geglaubt.
Was dagegen hilft, ist ein differenzierter Umgang damit. Sprechen wir doch die Sauereien der Ostblockstaaten offen an. Allerdings nicht ohne ihre Errungenschaften genauso anzusprechen. Analysieren wir das Scheitern dieser Projekte und lernen für den nächsten Versuch. Das ist dann auch glaubhafter.
Bleibt trotzdem die Frage, wie man es schafft, den Neoliberalismus in den Köpfen zu bekämpfen. Die Hoffnungslosigkeit und der Pessimismus sind elementarer Bestandteil davon. Wer sich keine andere Welt als eine kapitalistische vorstellen kann, wird nicht von Linken überzeugt werden können. Wer ein sehr negatives Menschenbild wie etwa FaschistInnen hat, der kann nur pessimistisch sein, was die Zukunft angeht. Die Kulturindustrie füttert uns zudem täglich mit Weltuntergangs-Serien.
Auch wenn es in der aktuellen Situation etwas absurd erscheint: Wir sind die einzigen, die mit einem hoffnungsvollen Bild der Zukunft dienen können. Ökologischer Sozialismus – geile Sache. Wir retten unsere Lebensgrundlage auf diesem Planeten und sorgen gleichzeitig für eine friedliche und solidarische Welt. Die Linke sollte die Tatsache nutzen, dass aktuell viele Menschen ihr Weltbild überprüfen und ändern. Denn in Krisen bekommt die neoliberale Hegemonie Risse. Genau da sollten wir mit unserer Utopie reingehen und ganz laut schreien: Ja, es ist auch 30 Jahre nach der DDR noch möglich, eine menschengerechte Gesellschaft aufzubauen. Ein Versuch sollte es immer wieder Wert sein. Die Alternative wäre aufzugeben.