In Österreich ist die Antifa fest in der Hand der bürgerlichen Linken. Weitgehend befreit von proletarischen Elementen und unwillig sich von finanziellen Zuwendungen des Parteienstaates zu emanzipieren, genügt sie sich selbst. Die Kapitalkräfte juckt das wenig. Die Rechte lacht sich ins Fäustchen. War das schon immer so? Und wie kommen wir da wieder raus?
Von Gregor Sanders
Historisch betrachtet entstand der Antifaschismus in Österreich aus der Notwendigkeit eine Selbstschutzfunktion für die ArbeiterInnenklasse gegenüber reaktionären Überfällen einzunehmen. Mit dem Republikanischen Schutzbund verfügte man über eine paramilitärische Organisation, die in den 1920er Jahren die personellen Kapazitäten des Bundesheeres um das dreifache überstieg. Diese Stärke zerbrach an der Unentschlossenheit ihrer Führung und den Artilleriesalven des austrofaschistischen Ständestaates. Zahlreiche AntifaschistInnen gingen in den Untergrund oder führten ihren Kampf an der Seite der spanischen Republik und später gegen den Nationalsozialismus fort.
Nach dem Weltkrieg und dem „Sieg über den Faschismus“ setzte sich die Vorstellung einer hoheitlichen Institutionalisierung des Antifaschismus durch. Der österreichische Bundesadler ist heute das einzige Staatsemblem eines nichtsozialistischen Landes, welches Hammer und Sichel über gesprengten Ketten zeigt. Abseits dieses Kuriosums, kam die Zweite Republik dem antifaschistischen Anspruch kurzzeitig nahe. Ab Ende April 1945 traten zahlreiche KommunistInnen (1.500 alleine in Wien) geschlossen in den Polizeidienst ein. Wichtige Führungspositionen, wie etwa die Leitung der Staatspolizei, dem Vorläufer des heutigen Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, wurden kommunistisch besetzt. Dementsprechend konsequent ging man gegen ehemalige Nazis und ihre HelfershelferInnen vor. Dieses Engagement kam nach wenigen Jahren, als Folge politischer Machtverschiebungen, ins stocken. Nach dem Abzug der Alliierten 1955 begann ein energisches Zurückdrängen des „Bund fortschrittlicher Exekutivbeamter“ aus den Schlüsselpositionen. Bis 1970 waren die KommunistInnen aus der Polizei entfernt.i
Antifaschismus sollte sich vor diesem Hintergrund erst wieder in den 1980er Jahren zu einem neuen Antagonismus formieren. Den in sich zusammenbrechenden Realsozialismus vor Augen, war die Systemfrage zu stellen nicht mehr in Mode. Die Antifa der 1980er- und 90er fokussierte auf einzelne staatliche Institutionen, vorwiegend Polizei und Justiz, um deren Gewaltmonopol zu konfrontieren. Den politischen Gegner physisch anzugehen war dabei Konsens. In der Wahl der Mittel gab es nur wenige Tabus. Im Fahrwasser dieses militanten Lebensstils entstand die Thaler-Konicek-Bande, die einzige jemals existierende Stadtguerilla in Österreich. Ihre Mitglieder rekrutierten sich aus der ArbeiterInnenklasse. Gregor Thaler war gelernter Maschinenschlosser. Peter Konicek hatte sich bewusst gegen die allgemeine Hochschulreife entschieden und arbeitete als LKW-Fahrer. Die beiden kamen 1995 bei einem Sprengstoffanschlag ums Leben.ii
Rückwirkend betrachtet ist feststellbar, dass die historische Antifa-Bewegung ein Verbindungselement zwischen der Zugehörigkeit zur ArbeiterInnenklasse und ihrer Kampfbereitschaft aufwies. Davon kann heute keine Rede mehr sein!
Organisierte AntifaschistInnen gruppieren sich in den Universitätsstädten. Geprägt von einem akademischen Mittelklassenmilieu wird der Zugang zu den finanziellen Ressourcen über die parteipolitisch besetzte Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH) ermöglicht. Hierbei muss betont werden, dass sich die ÖH-Gelder aus den semestral zu entrichtenden Pflichtbeiträgen der Studierenden speisen, denen sich niemand entziehen kann. Die Mittel, die durch diese staatliche Zwangsmaßnahme zustande kommen, sind zum Teil erheblich. Umso tragischer, dass eine Antifa, die Zugriff darauf hat, mit der arbeitenden Bevölkerung in spontanen Lebenslagen kaum in Kontakt gerät. Wie die Gelder politisch Verwendung finden, bleibt hingegen nicht immer ein Mysterium. Auf ewig unvergessen etwa die beispiellose Verschleuderung von fast einer halben Million Euro für das „antisexistische, antidiskriminierende, antirassistische, antifaschistische, antinationalistische, antiklerikale, antipatriarchale, antiheteronormative und antikapitalistische Café Rosa“. Es überlebte nicht einmal das erste Jahr und scheiterte gewaltig.iii Die Spucke, die inzwischen darauf verbraucht wurde, vollmundige Solidaritätsbekundungen Richtung Proletariat abzugeben, schmierten sich junge Burschenschafter in ihre brav gezogenen Scheitel. Vor einer Antifa, die vom Klassenbewusstsein so weit entfernt ist, wie Zärtlichkeit von Pflastersteinen, braucht man sich nicht fürchten.
Neben der finanziellen Ausstattung ist die zweite Waffe, derer sich die bürgerliche Antifa zu bedienen weiß, ein Relikt aus der Zeit des institutionalisierten Antifaschismus nach 1945: das Verbotsgesetz. Mit einer Höchststrafe von 10 Jahren, ist es das gesetzlich schärfste Mittel gegen eine Wiederbetätigung für die Ziele der NSDAP. Entstanden aus der Sorge vor neonazistischen Anschlägen im Sinne der „Werwolf-Strategie“ ist es in seiner heutigen Anwendungsform höchst diskussionswürdig. Während extreme Rechte in ihrer Kritik am Verbotsgesetz die ewige Leier der unterdrückten Meinungsfreiheit bedienen, verdeutlicht sich hingegen in der nüchternen Betrachtung ein differenziertes Bild. In einem Beobachtungszeitraum von 3 Jahren wurden in Teamarbeit 42 Fälle zum Vorwurf der NS-Wiederbetätigung am Oberlandesgericht Innsbruck dokumentiert. Es zeigten sich extreme Diskrepanzen in der richterlichen Beurteilung der Schwere der Taten entlang des gesellschaftlichen Status der Angeklagten. Ein großer Teil der Fälle betraf sozial deklassierte Menschen, die im Internet Nazisymbolik verbreitet oder öffentlich Hitlergrüße getätigt hatten. Die oftmals wegen anderer Delikte bereits Vorbestraften und vor Gericht unbeholfen Agierenden bedachte man mit schweren Gefängnis- oder Geldstrafen. So wurde etwa ein Arbeits- und Obdachloser mit einer psychiatrisch attestierten Grenzbegabung, wegen Zeigen des Hitlergrußes zu 12 Monaten Gefängnis bedingt verurteilt.iv Im krassen Gegensatz dazu der Volksverhetzungsprozess gegen einen Hotelier und Millionär, welcher als Spitzenkandidat der FPÖ im gesamten Stadtgebiet rassistische Plakate affichieren ließ. Er kam mit einer für seine Verhältnisse lachhaft niedrigen Geldstrafe davon.v
Das Verbotsgesetz sieht harte Strafen vor, welche ungleich angewandt werden. Extrem rechte Politiker können öffentlich erwägen, Flüchtlinge konzentriert an einem Ort festzuhalten, oder den Schießbefehl an der Grenze zu erteilen, ohne dass das Konsequenzen hat. Einfache Menschen trifft das Verbotsgesetz hingegen mit der vollen Härte. In der gegenwärtigen Anwendungsform ist es deshalb dazu geeignet, als ein Instrument der Klassenjustiz betrachtet zu werden. Dessen sollten sich alle AntifaschistInnen bewusst sein, die es als Mittel einzusetzen gedenken.
Warum der Ruf nach polizeilich-juristischem Eingreifen von Antifaseite weiterhin erschallt, erklärt die bittere Tatsache, dass die Antifa in Österreich gar nicht im Stande wäre, aus eigener Kraft die extreme Rechte zu besiegen. Weder die schiere Übermacht der Masse der 1920er Jahre, noch die Militanz der 1980er/90er sind heute gegeben. Von einer breiten Zustimmung in der Öffentlichkeit, ganz zu schweigen.
Dabei ist es bestimmt nicht so, dass organisierte AntifaschistInnen in Österreich die essentielle Bedeutung der ArbeiterInnenklasse für einen progressiven Gesellschaftsumbau verkennen. Man weiß es nur nicht anzustellen. Denn Antifaschismus ist heute vor allem ein moralisches Engagement, keine materiell begründete Notwendigkeit. Dies hat zur Folge, dass die Antifa in Österreich einem Selbstbefriedungsdiktat unterworfen ist. Auf jegliche Anzeichen von Militanz wird hoch sensibel reagiert. Wer sie zu offensiv einfordert, läuft Gefahr, sich bewegungsintern zu isolieren. Das ist das Ergebnis der Verbürgerlichung der Antifa, welche in der Konfrontation mit der herrschenden Ordnung mehr zu verlieren, als zu gewinnen glaubt. Der medial regelmäßig wiedergekäute Vorwurf, die Antifa sei gewalttätig, gar terroristisch, kommt deshalb ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo diese Bewegung so angepasst und friedlich ist, wie nie zuvor.
Die ArbeiterInnenklasse zu erforschen, sie akademisch-literarisch zu umwerben, bleibt en vogue. In der Banalität des Alltags traut man sich an die zu Untersuchenden aber nicht heran. Große Teile des Volkes sprechen eine derbe Sprache, sind ungehobelt und reproduzieren ständig jenen konkurrenzgeprägten Habitus, unter dem sie selbst leiden. In Zeiten von selfcare, safe spaces und awareness bereitet dieser Zustand Unbehagen.
In ihrem Unvermögen sich der Sympathie der arbeitenden Bevölkerung zu vergewissern, bedient sich die Antifa in Österreich einer weiteren plumpen Methode: der Skandalisierung. Recherchen über die extreme Rechte werden aufbereitet und der Öffentlichkeit dargelegt; aber politisch nicht verwertet. Vielmehr suhlt man sich in der larmoyanten Forderung, dass eine abstrakte Zivilgesellschaft oder „der Staat“ etwas unternehmen möge. Der dahinterliegende Unwille, den vertrauten Radius der distanzierten Kritik zu verlassen und sich in die Niederungen des trivialen Alltags zu begeben, zeigte sich im Umgang mit den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung. Vornehm hielt man sich zurück, welchen Kurs die Stimmung im social media und auf der Straße nehmen würde. Zu keinem Zeitpunkt wurde der Versuch unternommen, die Proteste im fortschrittlichen Sinne zu beeinflussen. Wenig verwunderlich drängte sich die Rechte in dieses Vakuum; was wiederum von der Gegenseite mit direkter Erleichterung aufgenommen wurde. Zu gern ließ man sich in die behagliche Position der distanzierten Kritik zurückfallen. Bei der Demonstration vom vergangenen 16. Januar in Wien, an der über 10.000 Menschen teilnahmen, wollte man partout kein einziges gesellschaftlich abgehängtes Subjekt erkennen. Dies war Ausdruck des Widerwillens sich mit der Unkultiviertheit eines grobschlächtigen Milieus abgeben zu müssen.
Dass es anders verlaufen könnte, bewiesen die Proteste der gilets jaunes in Frankreich. Fortschrittliche Kräfte bemühten sich von Anfang an, die Gelbwesten-Proteste progressiv zu beeinflussen. Natürlich waren bis zuletzt auch reaktionäre Positionen darin vertreten, doch sie bekamen nie die Oberhand. Die Bewegung blieb eine soziale und wurde nicht ethnisiert.vi Ähnliche Bestrebungen gab es im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen in Napoli, Italien. Auch dort beteiligten sich soziale Basisgruppen an den Protesten und hielten fortschrittliche Positionen hoch.vii
Die Wirkkraft antifaschistischer Recherchearbeit verpufft, wenn man sie nicht für die eigene Politik in Stellung bringt. Die Antifa der 1920er nutzte ihr Wissen über den Faschismus, um den Massen dessen Zusammenhang mit dem Kapital aufzuzeigen. In den 1980ern ermittelten Antifas die Adressen der Neonazis, um sie vor der Haustüre abzupassen. Neue Technologien haben heute die Möglichkeiten der Datenansammlung erheblich potenziert. Umso ärgerlicher, dass diese nicht verwertet werden. Zumindest nicht von der Antifa selbst. Denn große Medienhäuser bedienen sich nur zu gerne der im Internet frei zugänglichen Informationen, um damit ihre Produkte zu monetarisieren. Ein Entgelt für ihre Leistung sehen AntifaschistInnen praktisch nie. Dem begegnen einige mit der Selbstständigkeit, indem sie Antifa zu ihrem Geschäft machen. Doch ob ökonomische Singularinteressen der Sache dienlich sind, sei dahingestellt. Fakt ist, aus all dem Wissen, dass die Antifa über die extreme Rechte ansammelt, gelingt es nicht, einen nachhaltig wirkenden Vorteil zu erhaschen. Skandalisierung kann Punktsiege erringen, mehr nicht! Der Grund dafür liegt in der Tatsache, dass das politische Stimmungsbild in Österreich derart von reaktionären Kräften dominiert ist, dass moralisch argumentierende Skandalisierungen, nur mehr selten einen Hund hinter dem Ofen hervorholen.
In den letzten 10 Jahren gewerkschaftlicher Bildungsarbeit hatte ich mit hunderten BetriebsrätInnen Kontakt. Darunter waren bekennende WählerInnen rechter Parteien, zum Teil gar FunktionärInnen. Die Erfahrungen mit diesen Bekanntschaften zeigen, dass eine materialistische Argumentationslinie den gesellschaftlichen Mehrwert von Antifaschismus herausarbeiten und erklären kann, warum es im Eigeninteresse der Lohnabhängigen liegt, sich daran zu beteiligen. Antifaschismus muss wieder die Aufgabe übernehmen, für die es gegründet wurde. Eine Schutzfunktion einzunehmen gegenüber den Attacken des Kapitals auf die arbeitenden Menschen. Der solidarische Kampf gegen Verarmung und Delogierungen, gegen geschlechtliche Arbeitsteilung und Einhegung sind dafür probate Mittel. Antifa muss aus ihrem szenegeprägten Schneckenhaus hervortreten und in realen Lebenslagen mit der arbeitenden Bevölkerung verschmelzen. Doch davon sind wir weit entfernt.
Zur Person:
Gregor Sanders ist Betriebsrat und Referent für Politische Bildung an der Gewerkschaftsschule des ÖGB.
iVgl.: Hans Hautmann: Kommunisten und Kommunistinnen in der Wiener Polizei; Alfred Klahr Gesellschaft (2012); online: http://www.klahrgesellschaft.at/Mitteilungen/Hautmann_2_12.pdf (Abrufdatum: 18.01.2021).
iiVgl.: TATblatt-Originaltextservice: Dokumentation: Ebergassing eine Untersuchung; online: https://www.nadir.org/nadir/periodika/tatblatt/164ebergassing-doku.htm#_Toc512836455 (Abrufdatum: 18.01.2021).
iiiVgl.: Lisa Aigner: Café Rosa: Antikapitalistischer Versuch gescheitert; in: Der Standard (7. März 2012); online: https://www.derstandard.at/story/1330390552986/oeh-uni-wien-cafe-rosa-antikapitalistischer-versuch-gescheitert (Abrufdatum: 21.01.2021).
ivHandschriftliches Protokoll zur Verhandlung gegen M.H. am OLG Innsbruck (August 2013).
vHandschriftliches Protokoll zur Verhandlung gegen A.P. am OLG Innsbruck (Februar 2013).
viVgl.: Felix Broz im Gespräch mit Sarah Berg: „Nach und nach haben sich mehr Antifas mobilisiert und die Faschos aus den Demos gejagt“ – Gelbwesten in Frankreich; in: Revolt Magazin; online: https://revoltmag.org/articles/nach-und-nach-haben-sich-mehr-antifas-mobilisiert-und-die-faschos-aus-den-demos-gejagt-gelbwesten-in-frankreich/ (Abrufdatum: 19.01.20221).
viiVgl.: Infoaut. Informazione di parte: Napoli, due giorni di manifestazioni contro la gestione dell´emergenza covid; online: https://www.infoaut.org/precariato-sociale/napoli-due-giorni-di-manifestazioni-contro-la-gestione-dell-emergenza-covid (Abgerufen am 21.01.2021).