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Poesie

Ich bin eine Frau

Ich bin Tochter

Ich bin Schwester

Ich bin eine liebevolle Freundin

Ich bin eine Frau

eine Frau aus einem toten Dorf im Süden,

eine Frau, die seit Urbeginn barfuß läuft

auf der glühenden Erde der Wüste

von einem Ende zum anderen.


Ich bin von kleinen Bauern im Norden

eine Frau, die seit Urbeginn barfuß

in Reisfeld und Teefeld geht

bis zum Ende ihrer Kraft

ich bin von verlassenen Ruinen im Osten

eine Frau, die seit Urbeginn barfuß erträgt

auf durstiger Erde

ein Tröpfchen Wasser zu suchen

eine Frau, die seit Urbeginn barfuß fühlt

mit dem mageren Ochsen auf der Tenne

vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang

von der Dämmerung bis zum Morgengrauen

die Schwere der Qual

ich bin eine Frau

von den Nomadenstämmen

von den Landstreichern in Wüsten und Bergen

eine Frau, die ihr Kind auf dem Berg bekommt

und in der Weite der Wüste

ihre Ziege verliert und beweint

ich bin eine Frau

eine Arbeiterin, die mit ihren Händen

in der Fabrik die großen Maschinen bewegt

und jeden Tag wird ihre Kraft

von den Zähnen des Rades zerhackt.


So einfach, eine Frau, an deren Lebenskraft

sich die gierige Leiche mästet

und durch den Verlust ihres Blutes

wächst Kapitalistenprofit

eine Frau, die keinen Platz hat

in den Vorstellungen eurer schändlichen Kultur

da sind ihre Hände weiß

ihre Finger zart, ihre Haut weich

und ihre Zöpfe duften.


Ich bin eine Frau, deren Hände

von schneidenden Qualen verletzt sind

eine Frau, deren Gestalt

durch eure Schamlosigkeit

unter der gewaltigen Arbeit

einfach gebrochen ist

eine Frau, deren Haut

für die Sonne der salzigen Wüste

ein Spiegel ist

deren Zöpfe duften nach Rauch

ich bin eine freimütige Frau

eine Frau, die seit Urbeginn

an der Seite ihrer Schwestern und Brüder

ihrer Genossinnen und Genossen

die Wüsten durchwandert

eine Frau die erzieht

die mächtige Faust des Arbeiters

und den kraftvollen Arm des Bauern.


Ich bin selbst Arbeiterin

ich bin selbst Bäuerin

meine ganze Gestalt ein Bildnis der Qual

meine Erscheinung verkörpert den Hass.

Welche Unverschämtheit von euch

mir zu sagen

die Qual meines Hungers sei Phantasie

die Nacktheit meines Körpers sei Wahn

ich bin eine Frau

die keinen Platz hat

in den Vorstellungen

eurer schändlichen Kultur

eine Frau

in deren Brust das Herz übervoll ist

von ansteckenden Geschwüren der Rache

eine Frau

in deren Augen

der rote Schein der Geschosse der Freiheit sich bricht.


Eine Frau deren Hände durch Arbeit

hart genug geworden sind

die Waffe zu ergreifen.


(Von Marzieh Ahmadi*, Organisation der Volksfedajin-Guerilla Iran. Bei dem Versuch Genossen vor dem iranischen Geheimdienst SAVAK zu retten, geriet sie mit den Agenten in ein Feuergefecht und starb am 26. April 1974 im Alter von ca. 33 Jahren in Teheran.)

Das Potrait von Marzieh Ahmadi, bei der Feier zum internationalen Frauenkampftag am 8. März, der Revolutionären Assoziation der Frauen Afghanistans.

Ergänzung:

Und wenn ich auch hier und heute eine bin

die behütet und wüstenlos

in einer Metropole aufgewachsen ist

die nicht die Qual des Hungers

aber die des Konsums

und nicht die Qual der Schwerstarbeit

aber die Entfremdung der Wissenschaften

und nicht den offenen

aber den subtilen Terror

am eigenen Leibe erfahren hat

so bin ich doch genauso eine Frau

die keinen Platz hat

in den Vorstellungen dieser Gesellschaften

bin ich eine Frau, die sich verbunden fühlt

mit Arbeiterinnen, mit Bäuerinnen,

den unterdrückten Schwestern der ganzen Welt

mit denen, auf deren Kosten

sich die Metropole nährt und erhält

vor allem aber mit denen, mit denen mich

der gemeinsame Wille zum Kämpfen eint.


*Marzieh Ahmadi ist 1941 in Osku im Norden des Iran geboren und war Dichterin und Lehrerin. Sie war Anführerin der Studentenproteste von 1970, weswegen sie im Knast landete und anschließend nach Osku verbannt wurde. Später schloss sie sich der Guerilla an. Das Gedicht wurde dem Buch: „der Morgenröte entgegen…“ Gedichte und Texte gegen den imperialistischen Krieg, entnommen.