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Geschichte

40 Jahre irisch-republikanischer Hungerstreik: Der Start der Troubles

Von: Swissfenian

Am 1. März 1981 begann Bobby Sands, als erster einer Reihe inhaftierter republikanischer Gefangener, einen Hungerstreik in den berühmten H-Blocks. Das Maze Prison, so der offizielle Name, bildete für die republikanische Bewegung sowohl eine Lebensschule als auch ein immer wiederkehrender Ort, um die Massen zu mobilisieren und rekrutieren.

Die Reihe “40 Jahre irisch-republikanischer Hungerstreik” erzählt die Geschichte des Hungerstreiks, mit all seinen Vorbedingungen in der ruhelosen Geschichte des irischen Befreiungskampfes.

Teil 1Teil 2


Der 12. Juli ist immer ein brenzliger Tag im Norden Irlands. „The Twelfth“, wie er im Volksmund genannt wird, schreit beinahe nach Problemen. Dies gilt bis heute. Der Tag gilt als Höhepunkt der protestantischen Marschsaison. Grund der Zelebration ist die Schlacht am Boyne von 1690. Hierbei obsiegte in einer Schlacht der König Wilhelm III. über Jakob II. In dieser Schlacht ging es nicht um die Krone, sondern um den jeweiligen Glauben der Kronenträger. Der protestantische Wilhelm von Oranien-Nassau obsiegte über seinen katholischen Widersacher und gilt in den entsprechenden Communities bis heute als leibhaftiger Gott damaliger Zeit. Zumindest wird er jeden 12. Juli gehuldigt als gäbe es keine Zukunft und ganz sicherlich kein Leben ohne seine Errungenschaften vor hunderten von Jahren. Protestantische Orden und Gruppierungen ziehen bis heute die Legitimation ihrer Vormachtstellung aus dieser Schlacht. Der Zwölfte im Jahre 1969 geht aber relativ gemäßigt über die Bühne. Erst zwei Tage danach kommt es zu einem der ersten Opfer der Troubles. Francis ‚Pól Beag‘ McCloskey verstirbt am 14. Juli, nach einer Schlagstock-Attacke der RUC am Vortag. Das nächste Todesopfer der RUC folgt bereits am 17. Juli mit Samuel Devenny.

Bis heute kämpfen die Familien für eine gewisse Gerechtigkeit. Bei Samuel Devenny fordern die Angehörigen immer noch die Herausgabe von geheimen Dokumenten.

Christine und Harry Devenny. Bis heute kämpfen sie für ein Stück Gerechtigkeit für ihren Vater.

Die ersten Opfer der traditionellen Marschsaison des Oranier Ordens und ihren Konsorten gingen somit auf das Konto der Polizei. Auf Seiten der schon defensiv agierenden katholischen Bevölkerung sorgte dies entsprechend für noch mehr Sorgen und Ängste. Die sektiererische Polizei scheute nun nicht mehr vor Morden und klarer Positionierung zurück. In vollem Bewusstsein über diese Situation bahnte sich die nächste große protestantische Machtdemonstration an. Traditionell laufen nämlich auch die Apprentice Boys mehrmals durch die Gegend. Ihr Marschgebiet ist jedoch ein wenig klarer definiert, da sie sich auf die Geschichte um Derry konzentrieren. Die Apprentice Boys erinnern an die glorreiche Verteidigung der Stadt Derry im Jahre 1689. Eine ihrer zwei Haupt-Paraden führen sie immer im August aus. Die anderen Paraden finden verstreut über das Jahr verteilt statt, so auch 1969. In einer historisch katholisch dominierten Stadt soll dieser Jahrhunderte alte Sieg über die Katholiken gefeiert werden. Abseits der sonst schon brenzligen Umstände soll der Marsch mitten durch Derry führen, so dachten es zumindest die Apprentice Boys und die RUC. Die mehrheitlich katholische Bevölkerung von Derry will den Marsch weder in ihrer Stadt noch in ihren Vierteln.

Die minimalen Umstände des fehlenden Feuers finden endlich ihren Weg in das Pulverfass. Derry erlebt Mitte August massive Riots. Strassenkämpfe einer neuen Kategorie durchziehen die Stadt. Die Kämpfe konzentrieren sich schlussendlich auf ein katholisches Arbeiter*innen-Viertel, welches von weiteren solchen umgeben ist, die Bogside wird der Schauplatz mehrtägiger Kämpfe. Ein erschreckender Erlebnisbericht dazu zitiert sich wie folgt:

Around 7.15. p.m. on the evening of 12 August the police attempted to penetrate the Bogside. It transformed the disturbances from being an incident engaging a handful of police and a few youths into a war between the residents of the Bogside and the RUC. It represented an attack wich the residents had feared and for which they had prepared ever since the police incursions of the 4 January and 5 April – on the last of which Samuel Devenny and his family had been beaten. And the Police behaviour was reminiscent of those two previous ‚raids‘. They were shouting ‚IRA scum‘, and ‚Fenian bastards‘ as they began their charge, and they batoned several bystanders , including a uniformed first-aid man.“1

Tränengas im Dauerbeschuss, Gummigeschosse und Gummistöcke können die Lage schlussendlich auch nicht mehr beruhigen, geschweige denn besänftigen. Der legendäre Battle of the Bogside dauert vom 12. bis 14. August. Die Kundschaft der Ereignisse von Derry findet schnell Gehör in Belfast und anderen Städten. Die Offenbarung der RUC als sektiererischer Mob in Uniform wird wenig überraschend unterschiedlich aufgefasst. Loyalistische Mobs sehen sich in Belfast in einem ähnlichen Hoch wie in Derry und vertreiben allein ab dem späten Abend des 14. August mehrere katholische Familien aus gemischten bzw. angrenzenden Vierteln. Dazu folgen Attacken auf klar katholische Viertel im Rücken der RUC oder umgekehrt mit der RUC im Rücken. Die RUC offenbart nun den letzten Überraschten, auf welcher Seite sie steht. In katholischen Vierteln im ganzen Norden wird der Feind offenbart und die eigenen Viertel werden nun mittels massiven Barrikaden geschützt. Die traditionell beschützende Organisation verpasst jedoch diesen Moment. Sie steht unbewaffnet, unvorbereitet und planlos da. Einzig einigen wenigen Veteran*innen ist es zu verdanken, brennen katholische Kirchen und Viertel nicht gänzlich aus und ab. Einige wagemutige IRA Veteran*innen sichern sich die wenigen verbliebenen Waffen und versuchen damit die Viertel zu verteidigen. Wenig Munition, noch weniger Gewehre aber viel Prestige retten einzelne Viertel vor der kompletten Zerstörung. Die loyalistischen Horden lassen sich von ein paar Schüssen abschrecken. Der lang gepredigte Mythos der allumfassenden und omnipräsenten IRA zeigt zum Glück seine Wirkung. Die RUC und der loyalistische Mob ziehen sich mit Verlusten zurück. Die wenigen Volunteers retten so katholische Viertel vor der totalen Zerstörung.

Ungewöhnlich, aber die IRA ist plötzlich wieder in aller Munde. Trotz der rettenden Aktionen gewisser Veteran*innen wird in den eigenen Vierteln von einer massiven Schwäche der IRA geredet. Falsch ist der Volksmund dabei sicherlich nicht, die Parole IRA = «I Ran away» aber schon. Wenige Volunteers haben sich heldenhaft der Verteidigung einzelner Viertel gewidmet. Diese Volunteers beklagen bzw. beklagen bis heute die schlechte Bewaffnung der IRA zu der Zeit. Das Wegrennen fand quasi davor statt. Die älteren und traditionellen Volunteers sahen nach diesen Ereignissen massiven Veränderungsbedarf. Zuvor muss aber nochmals auf den Start der Troubles geschaut werden. Dieser begann in der Bombay Street im Clonard Viertel von West Belfast. Einem Viertel, welches heute noch republikanisch und revolutionär geprägt ist. Ein Viertel, welches angrenzend an einen Peaces Wall für touristische Fotofreuden sorgt. Ein Viertel, welches über einen grosse Anzahl gefallener Märtyrer verschiedener Gruppen verfügt. Ein Viertel, mit einem schönen Erinnerungsgarten für die gefallenen Volunteers der Gegend. Ein Viertel, welches auch gerne seine Geschichte reflektiert. So gibt es mindestens eine Broschüre zum Erinnerungsgarten in Clonard. Der Titel dieser undatierte Broschüre zum Clonard Martyrs Memorial Garden, lautet in memory of our dead. Die Broschüre verfügt über 54 Seiten, das Papier dürfte mindestens 100g/m sein. Der Druck erfolgte wohl um die 2000er. Der Inhalt lässt nicht nur durch die sehr konsequente Großschreibung aufhorchen. Schon bei Kapitel II (History of the Area) der Broschüre, schlagen die Historikerherzen hoch. Denn die Geschichte der Gegend ist mehr als relevant für die 40 Jahre dauernden Troubles. Hier begann dieser Krieg offiziell. Dieser historische Start der Troubles soll gemäß der Broschüre zitiert werden:

On 15 August 1969 the orange mobs backed up by gunmen from the UVF and the RUC auxiliary‚’B Specials‘ tried to invade the Clonard area. They managed to burn Bombay Street but through the gallant effort of the the local people and some IRA veterans they were forced to retreat. Many people were shot and injured. Young Gerald McAuley was shot dead. He was the first republican activist killed in this phase of the struggle.

Die republikanische Bewegung musste bereits am 15.8 über einen ersten Toten trauern. Der junge Gerald McAuley wurde als aktiver Fiana zum ersten offiziellen Opfer der Troubles auf Seiten der republikanischen Bewegung. Sein Tod ist daran geschuldet, dass er versuchte sein Viertel vor loyalistischen Mobs zu verteidigen. Bis heute erinnert eine Erinnerungs-Tafel im Viertel an McAuley als eines der ersten und jüngsten Opfer der Troubles.

Junge Aktivist*innen wie McAuley waren zu der Zeit jedoch eine rar gesähte Erscheinung. Die IRA und die republikanische Bewegung im Allgemeinen war alles andere als populär. Die Ereignisse der Riots in Derry und Belfast und andern Orten hallten nach. Bei Rekrutierungsversuchen sah sich die Bewegung gemäß Joe Cahill auch in Hochburgen mit viel Ablehnung konfrontiert. Weder in Ardoyne noch in Short Strand wurde die aktuelle IRA-Führung geschätzt. Die Problematik fehlender Waffen betraf die ganzen Communities. Trotz der verbarrikadierten Viertel sahen sich die Hardliner gezwungen zu agieren. Die bisherige IRA-Führung, welche stark vom Süden geprägt war, sollte abgelöst werden und die politische Agitation sollte der effektiven Verteidigung der Viertel weichen. Der bewaffnete Kampf sollte zumindest als Verteidigungsstrategie aktiv betrieben werden. Die traditionellen Republikaner*innen versuchten innerhalb der Bewegung das Zepter zu übernehmen. Mithilfe von wenigen traditionellen Army Council Mitgliedern im Süden sollte die Übernahme schlussendlich gelingen. Damals war es nicht ungewöhnlich öffentlich zu wissen, wer die Führung der Guerilla leitet. Kurze Zeit später wurde dies jedoch schon massiv mit Repression bedacht.

Patrouillen der britischen Armee in den ausgebrannten Häuserzeilen der Bombay Street.

Nach den Pogromen vom August ’69 war sich ein Teil der republikanischen Bewegung im Norden jedoch sicher, dass eine aktive Bewaffnung und Organisierung stattfinden sollte und musste. Dies ist mittlerweile gut dokumentiert und füllt eigene Geschichtsbücher. Die damals aber noch stark marxistisch und sozialistisch geprägte Führung der IRA aus dem Süden, versuchte die Kontrolle zu behalten. Die notwendige militärische Aktivität, welche die Kader, Veteran*innen und Aktivist*innen aus dem Norden forderten betrachtete das Führungskommando aus dem Süden als falsch.

Ironischerweise, so nennen es zumindest einige Historiker*innen mehrmals, sorgten die Briten eigentlich schon früh für einen rhetorischen Trumpf bei den Hardlinern aus dem Norden.

Im Juli 1969 sollten die Überreste der Volunteers, welche 1940 in Birminghan gehängt wurden, zurück nach Irland transferiert werden. Die Leichen von Peter Barnes und James McCormick wurden schließlich im Friedhof Ballyglass im County Westmeath beigelegt. Zahlreiche Veteranen aus dem Norden waren an dieser erneuten Beisetzung präsent. Jimmy Steele ergriff das Wort und in seiner Rede griff er die Führung aus dem Süden wie folgt an: „Our two martyred comrades – went forth to carry the fight to the enemy, into enemy territory, using the only methods that will ever succeed, not the method of politicans, nor the constitutionalslists, but the method of soldiers, the method of armed force.“

Jimmy Steele wurde nach dieser Rede, trotz mehr als 20 Jahren im Knast für die irische Sache, aus der IRA ausgeschlossen. Der Süden mochte weder Kritik noch eigene abweichende Ideen. Die Trennung innerhalb der IRA Führungsriege wurde innerhalb kurzer Zeit unumgänglich. Die einzelnen Kontrahenten, zum einen die traditionelle Fraktion mit starkem Bezug auf die „alte“ IRA, teilweise die katholische Kirche und vollumfänglich dem bewaffneten Widerstand, sah wenig Gemeinsamkeiten mit einer marxistisch, sozialistischen Agitationsgruppe welche trotz absolut gegenteiligen Realitäten, an einem gemeinsamen Klassenkampf weg von jeglichen Religionen und militanten Kämpfen festhielten. Der Klassenkampf wich zu Beginn der Troubles einem Viertelkampf. Die politischen und religiösen Backgrounds spielten eine größere Rolle als jegliches Einkommen und Besitz.

Fakt ist jedoch: Nach einer dreitägigen Riot-Periode gab es sieben Tote, 150 Verletzte durch Schüsse und ca. 150 Vertriebene durch verbrannte Häuser. Die Belfaster Veteran*innen, welche für bessere Bewaffnung in den Süden reisten, wurden enttäuscht. Der Süden wollte einem weiteren Blutvergießen keinen Vorschub leisten. Dennoch begann der Splitt innerhalb der Bewegung seine Kreise zu ziehen. Der damalige IRA-Armeechef Goulding meinte in der Startphase der Troubles sogar, dass es nicht an der IRA läge, die katholischen Gebiete zu verteidigen, sollte es wirklich hart auf hart kommen würde man sich an die offiziellen Kräfte wenden. Solche Aussagen lassen noch heute viele Genoss*innen verständnislos ihre Köpfe schütteln. Der friedliche Süden verfügte teilweise noch über alte und aktuelle Waffen in diversen Lager, dennoch sollte der umkämpfte Norden nicht damit unterstützt werden. Die Situation im Norden konnte weder militärisch noch sozial von der Führungsriege im Süden erfasst werden. Diese Unkenntnis sollte sich in späteren Jahren wiederholen. Der nahe Norden wird und wurde, wie schon beschrieben, immer mehr zum abgelegenen Niemandsland.


1Michael McCann’s Buch Burnt Out – How ‚the Troubles‘ began, S. 101