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Geschichte

Wie die Troubles nach England kamen

Von swissfenian

Michael Gaughan war einer der ersten IRA-Verdächtigen welcher in England den Status als politischer Häftling verlangt hat. Gaughan wurde am 21. Mai 1971 in London zusammen mit drei weiteren Verdächtigten verhaftet. Die Verhafteten wurden eines bewaffneten Raubüberfalls auf die Midland Bank drei Tage zuvor verdächtigt. Alle vier wurden bereits am 24. Mai 1971 zu Untersuchungshaft verdonnert. Die Gerichtsanhörung stand unter hohen Sicherheitsvorkehrungen und der britische Geheimdienst war zahlreich vertreten. Es bestand nämlich der Verdacht, dass die Männer den Überfall im Namen der IRA getätigt hatten. Ein Mitverurteilter, Jack McElduff stammte aus einer bekannten republikanischen Familie aus Tyrone und war zudem ein aktives und bekanntes Sinn Féin Mitglied in England. Ein hochrangiger Polizeioffizier behauptete sogar McElduff sei der damalige IRA-Anführer in England gewesen. Gaughan, und die weiteren Verhafteten, James Moore und Frank Golden wurden als Mitglieder der IRA gesehen. Vor Gericht wurde dies natürlich bestritten. Aber zumindest bei Gaughan ist klar, dass er zu der Zeit bereits aktiver IRA-Volunteer in England war. Er war Mitglied einer Active Service Unit in London. Der Special Branch war jedenfalls der Meinung zum ersten Mal seit langer Zeit eine komplette IRA-Gruppe in England festgenommen zu haben. Die Gerichtsverhandlung der vier begann am 15. Dezember 1971. Diese stiess auf grosses öffentliches Interesse. Die Erwartung der Öffentlichkeit war es einen selten Einblick in die Aktivitäten der IRA zu erhalten.

Michael Gaughan

In den Verhandlungen versuchten die Angeklagten jeglichen Motivation eines kriminellen Hintergrund des Überfalls zu widerlegen. Sie hatten wenig Hoffnung auf einen Freispruch und nutzten die Gerichtsverhandlung eher um einen politischen Status zu erhalten. Gaughan beklagte sich vor Gericht, dass er während den sieben Monaten in Isolationshaft gehalten wurde und täglich 23 Stunden ins seiner Zelle eingesperrt wurde. Er beschuldigte den Geheimdienst für diese Zustände. Diese hätten ihn bereits vor den Verhaftungen massiv überwacht.

Gaughan und Moore wurden schliesslich, wegen Waffenbesitz und bewaffnetem Raubüberfall zu 7 Jahren Gefängnis verurteilt. Golden erhielt ein Jahr und McElduff drei Jahre Gefängnis. Gaughan wurde zuerst im Wormwood Scrubs Gefängnis untergebracht und dann nach Albany verlegt, was ihn von den anderen Mitverurteilten trennte. In diesem Gefängnis lernte er jedoch den erfahrenen republikanischen Häftling Jim Monaghan kennen, welcher Gaughan in das Gefängnisregime einführte. Die IRA akzeptierte zu der Zeit in Albany Werkstatt-Schulungen aber keine richtige Gefängnisarbeit, die Schulungen aber auch nur um konsequente Bestrafungen zu umgehen. Bereits kurz nach Gaughans Ankunft in Albany kam es jedoch zu einem Gefängnisaufstand. Dieser Aufstand führte zu einem härteren Regime gegenüber Gefangen der Kategorie A. Diese Kategorie wird in England an Hochrisiko-Häftlinge vergeben. Die irischen politischen Gefangen fielen quasi automatisch in diesen Status. Innerhalb der republikanischen Kreisen wurde sogar von „Special Category A aka Irish Category A“ geredet. Da die IRA-Häftlinge in der Regel noch eine Spur härter behandelt wurden als Kategorie A Gefangene in England. Da sich Gaughan an die IRA-Politik hielt wurde er in Isolationshaft gehalten. Sein Kombattant Monaghan wurde nach verbüssen seiner Haftstrafe im November 1972 entlassen. Damit verlor Gaughan einen wichtigen Kampfgenossen im Gefängnis. Da er seinen Schwestern und Mutter die mühsamen Durchsuchungen und sonstigen Schikanen, welche Angehörige von IRA-Häftlingen durchliefen ersparen wollte, beschränkte Gaughan das Besuchsrecht auf seinen Vater und seinen Bruder. Erst kurz vor seinem Tod änderte er dies. Doch zuerst soll kurz ein Blick auf das Leben von Gaughan gelegt werden um dann die Umstände des Hungerstreiks genauer zu erläutern.

Michael Gaughan, geboren am 5. Oktober 1949 war der Älteste von 6 Kindern aus der Kleinstadt Ballina (Béal an Átha) im County Mayo. Sein Vater war während dem 2. Weltkrieg bei der britischen Armee in Palästina, Ägypten und Frankreich aktiv.

Michael machte gerne Sport, Musik und liebte Comics. Gemäss Beschreibungen lebte er ein normales Leben in Ballina. Er verliess seinen Heimatort wie so viele andere Ir*innen um eine Arbeit in England zu finden. 1965 begab er sich nach Blackley einen Vorort von Manchester. In London wurde er irgendwann Mitglied von Ciann na hÉireann. Dabei handelte es sich um eine irisch-republikanische Unterstützungsorganisation in England. Die Organisation entstand nach einem Zusammenschluss von Sinn Féin Birmingham und Sinn Féin London im Jahre 1964. Ciann na hÉireann organisierte Protestmärsche, Veranstaltungen und sammelte Geld für die Bewegung in England. Nach der Spaltung der IRA und Sinn Fein war die Organisation mit der Official Sinn Féin und der Official IRA verbunden, zu Beginn fungierte sie sogar noch als Organisation mit Mitglieder von beiden Abspaltungen. Gaughan war somit zuerst im Kreise der Official Sinn Féin und sogar in der Offical IRA organisiert. Noch bis Januar 1971 war er in der Zeitung von Ciann na hÉireann, United Irishman, als die Kontaktadresse der Organisation in Manchester aufgelistet. Spätesten im Mai desselben Jahres wechselte Gaughan aber zur Provisional IRA, die auch in England zur stärkeren Fraktion wurde. (Zur Trennung der IRA folgt bald mehr in einem weiteren Teil der Hungerstreik Serie).

In der breiten irischen Community Englands war Gaughan bekannt für den Verkauf von republikanischen Zeitungen und die Teilnahme an politischen Treffen, aber nicht als aktives IRA-Mitglied.

Am 8. März 1973 gingen zwei grössere IRA-Autobomben in England hoch. Eine vor dem Old Bailey Gericht (an dem Gaughan und seine Mitstreiter verurteilt wurden) und eine vor einem Armee Rekrutierungszentrum. Die IRA warnte im Voraus und es kam zu keinen Todesopfern, bis auf einen Todesfall an einer späteren Herzattacke am selben Tag, welche auf die Bomben geschoben wurde, was sich aber im Nachhinein als falsch herausstellte. Zwei weitere Bomben wurden rechtzeitig entschärft (eine vor dem New Scotland Yard und eine vor dem British Forces Broadcasting Offices). Der Start der neuen Bombenkampagne in England sorgte noch am selben Tag für die Verhaftung von 10 jungen irischen Menschen auf dem Flughafen Heathrow. Alle 10 hatten gemäss britischen Behörden keine passenden Pässe zu den Flugtickets. Die Verhafteten waren zwischen 19 und 29 Jahre alt. Sie wurden bekannt als die «Belfast Ten». Die Namen: Die Schwestern, Dolours und Marian Price, Hugh Feeney, Paul Holmes, Roy Walsh, Billy Amrstrong, Rosin McNearney, Martin Brady, Gerry Kelly und Liam McLarson. Der Fall der Belfast 10 wird zu einem anderen Zeitpunkt genauer beleuchtet. Wer Interesse hat kann die Namen googeln und findet viele Informationen. Aber nun zurück zu Gaughan.

Old Bailey Autobombe, London.

Michael Gaughan blieb mit seinen mitverurteilten Kombattanten in Briefkontakt. Ab Mai 1973 lockerte sich für eine kurze Zeit das Regime im Albany Gefängnis. Gaughan wurde nicht mehr in Isolationshaft gehalten und durfte so an Soziologievorlesungen teilnehmen, dabei wurde er von anderen republikanischen Gefangenen begleitet. Zudem waren ein paar Marxisten in der Vorlesung. Ein besonders überzeugter Marxist versuchte Gaughan zu einem linken Revolutionär zu formen, gab dies aber auf und beschimpfte ihn als Faschisten. Gaughan der notabene zuvor OIRA-Mitglied war nahm dies scherzhaft zur Kenntnis und schrieb scherzhaft in einem Brief an einen Unterstützer; dieser solle ihm doch bitte Kampfstiefel ins Gefängnis schicken.

Gegen Ende des Jahres 1973 war es mit Scherzen aber bald vorbei. Die «Belfast Ten» beschlossen einen Hungerstreik mit folgenden Forderungen: Eine Retournierung nach Irland um die Haftstrafe Nord-Irland abzusitzen, vollständiger Status als politische Gefangene solange sie in England sind (im Norden Irlands hatten die Gefangen zu der Zeit politischen Status, ab 1972 nach einem Hungerstreik von Billy McKee) inkl. das Recht eigene Kleidung zu tragen und unbeschränkte Anzahl an Post zu erhalten, einen offenen Besuch jede Woche, die Zusammenlegung in einem Gefängnis, den Ausschluss von Gefängnisarbeit.

Dieser Hungerstreik wurde von Gerry Kelly, Hugh Feeney und Dolours und Marian Price bereits 206 Tagen durchgehalten als sie am 30. März 1974 weitere Unterstützung erhielten. Bis dahin erlebten die Beteiligten regelmässig die Folter der Zwangsernährung. Namentlich unterstützten die Gefangenen Michael Gaughan, Frank Stagg, welcher ebenfalls aus Mayo kam, und Paul Holmes aus dem Albany Gefängnis den Hungerstreik.

Für zwei der drei endete der Hungerstreik tödlich. Michael Gaughan verstarb nach 68 Tagen im Hungerstreik unter der äusserst qualvollen Folter der Zwangsernährung. Diese beschreibt sich laut dem National Hunger Strike Commemoration Committee wie folgt: würden sechs bis acht Wachen oder Wärter den Gefangenen zurückhalten und ihn an den Haaren auf die Oberseite des Bettes ziehen, wo sie den Hals des Gefangenen über eine Metallschiene strecken und einen Block zwischen seine Zähne zwingen und dann eine Ernährungssonde, die sich den Hals hinunter erstreckte, durch ein Loch einführen.

Gaughan erlebte während seines Hungerstreiks mindestens 17 solcher Zwangsernährungen. Diese waren für die Gefangen jeweils äusserst schmerzhaft und erniedrigend. Ein Ziel dieser Zwangsernährung war es auch die Gefangenen zu brechen. Der Hungerstreik sollte damit zu einem Ende getrieben werden. Die Zwangsernährung führte auch häufig zu Verletzungen der bereits geschwächten Gefangenen. Bei Gaughan sorgte sie für den Tod. Die Gefängnisärzte töteten Gaughan mit der Zwangsernährung. Die britischen Behörden gaben an, Gaughan sei an einer Lungenentzündung verstorben, dies konnte jedoch widerlegt werden. Bei einer Zwangsernährung am 2. Juni gelangte flüssige Nahrung in seine Lunge anstelle seines Bauchs. Ein Schlauch hat dabei wohl auch seine Lunge zerstochen.

Gaughan war damit der erste tote republikanische Hungerstreikende nach Seán McCaughey aus Tyrone, welcher 1946 im Portlaoise Gefängnis in Irland verstarb. Zudem war er der erste republikanische Hungerstreikende welcher in England verstarb nach Terence MacSwiney im Jahre 1920.

Bereits am 7. Juni kam die Leiche zurück zur Familie. Einer traditionellen IRA Guard of Honour (mit schwarzen Berets) wurde es verboten den Sarg vom Parkhurst Gefängnis aus los zu tragen. Aber eine kleine Prozession mit einem Dudelsackpfeifer fand wie geplant statt. Der Sarg mit einem IRA black beret wurde in Richtung Cricklewood in Nord-London gebracht. Dort versammelte sich bereits eine grosse Gruppe an IRA-Sympathisanten. Diese liefen schliesslich hinter einer 8-köpfigen IRA-Ehrengarde (gekleidet in klassischen schwarzen Pullovern und Berets). Die «Prozession» lief auf über 3000 Menschen an und marschierte mehr als 2 Stunden durch London. Dabei kam es durch diverse Gruppierungen zu starken Solidarisierungen für die irische Sache. Einige kommunistische Gruppen aus England erwiesen Gaughan die letzte Ehre, aber auch bekannte republikanische Persönlichkeiten wurden prominent beim Tragen des Sarges abgelichtet. Im Nachgang wurde dieser letzte Marsch als massive IRA-Propaganda und Sympathisant*innen Demonstration verurteilt. Ein Teil der Guard of Honour bekam sogar Strafbefehle zugestellt. Dabei durften sie Bussen von 60 Pfund entgegennehmen. Es sei kurz erwähnt, Gaughan und seine Mitstreiter wurden notabene zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt wegen einer Beute von 360 Pfund.
Einige katholischen Oberhäupter in England verboten nach dieser Parade auch Flaggen über den Särgen, was bisher traditionell bei irisch-republikanischen Beerdigungen akzeptiert wurde. In seinem Heimatland sorgte die Beerdigung auch für einiges an Aufsehen. Am 8 Juni kam der Leichnam in Dublin an. Dieser wurde dabei von der 1. Kirchenstation mit einer Guard of Honour begleitet. Beim General Post Office, einem der Hauptschauplätze der Irischen Revolution von 1916, flog die Trikolore auf Halbmast, schlussendlich verliess ein grosser Leichenzug Dublin in Richtung Ballina. Dabei wurde der Umzug von rund 15.000 Menschen beobachtet. In Ballina waren rund 10.000 Menschen an der Beerdigung. Alles in allem waren Massen zu Ehren eines IRA-Häftlings, sowohl in England als auch im Süden von Irland, auf den Strassen. In Ballina trat zudem die IRA äusserst offen auf (für die damaligen Verhältnisse im Süden) und feuerte mit drei Volunteers Ehrenschüsse in die Luft. Gaughan wurde schlussendlich im republikanischen Teil des Friedhofs beerdigt. Bis heute erinnern noch jährliche Gedenkmärsche und Veranstaltungen an Michael Gaughan. In Ballina gibt es auch ein aktuelles Mural für ihn. Zudem erinnert der bekannte Rebellensong «Take me home to Mayo» in verschiednen Versionen immer wieder an ihn.

Die letzten Worte von Gaughan waren folgende:

I die proudly for my country and in the hope that my death will be sufficient to obtain the demands of my comrades. Let there be no bitterness on my behalf, but a determination to achieve the New Ireland for which I gladly die. My loyalty and confidence is to the IRA and let those of you who are left carry on the work and finish the fight.


Quelle: Ruán O’Donnel: Special Category – The IRA in Englisch Prisons Vol 1: 1968-1978