Von: Swissfenian
Am 1. März 1981 begann Bobby Sands, als erster einer Reihe inhaftierter republikanischer Gefangener, einen Hungerstreik in den berühmten H-Blocks. Das Maze Prison, so der offizielle Name, bildete für die republikanische Bewegung sowohl eine Lebensschule als auch ein immer wiederkehrender Ort, um die Massen zu mobilisieren und rekrutieren.
Die Reihe „40 Jahre irisch-republikanischer Hungerstreik“ erzählt die Geschichte des Hungerstreiks, mit all seinen Vorbedingungen in der ruhelosen Geschichte des irischen Befreiungskampfes.
Der Ausbruch der Troubles leitete die Spaltung der republikanischen Bewegung und damit auch der IRA ein. Bereits kurz nach den heftigen Unruhen, welche den Norden überschatteten, versammelten sich in Belfast am 24. August wichtige Persönlichkeiten zu einem geheimen Treffen. Am Treffen nahmen mehrheitlich Traditionalisten und verdiente Veteranen der republikanischen Bewegung teil. Unter ihnen befanden sich auch Aktivisten, welche heute Legendenstatus genießen. Dabei sei insbesondere Billy McKee erwähnt, der noch in seinen späten 90ern den bewaffneten Kampf befürwortete und noch heute für seine kompromisslose Haltung in den unterschiedlichsten Kreisen geschätzt wird. Weitere bekannte Teilnehmer waren unter anderem Joe Cahill, Seamus Twomey, Daithi O’Connell und Jimmy Drumm. Dieser Personenkreis einte die Ablehnung gegenüber dem bisherigen Führungsstil der IRA, sowohl in Belfast, als auch in seiner Gesamtheit durch die Führungskader aus dem Süden.
Daher wurde entschieden, die Kommandoebene aus Belfast mit der Kritik handfest zu konfrontieren. Dies führte zu einer Teilung innerhalb der IRA Kommandoebene im Norden Irlands, welche zum damaligen Zeitpunkt mehrheitlich in Belfast stationiert war. Die Führung aus dem Süden Irlands übersah die Konflikte im Norden relativ gekonnt und arbeitete weiter an ihrem weitgehend ausschließlich politischen Programm. Dabei wurde auch der Vorschlag unterbreitet, die bisherige Politik, gewählte Mandate nicht wahr zu nehmen, aufzugeben. Dieser geplante Bruch mit der bisherigen Tradition beschleunigte die Trennung zusätzlich. Innerhalb der höchsten IRA-Führungsebene löste dieser Vorschlag die endgültige Trennung der beiden Fraktionen aus. Am 18. Dezember 1969 wurde innerhalb dieser Kritiker*innen eine neue Armee-Struktur aufgebaut und gewählt. Dabei wurde Séan MacStiofáin als Stabschef der neuen IRA-Führung gewählt. Der politische Arm in Form der Partei Sinn Féin folgte diesem Schritt im Januar. Fortan existierten zwei bewaffnete Organisationen, nämlich die Official IRA und die Provisional IRA.
Die Trennung zur Zeit des Ausbruchs des Konflikts hatte sich schon länger abgezeichnet. Ihre Ursache lag tief verwurzelt. In zahlreichen Publikationen über die Teilung der IRA gehen die Traditionalisten rund um die Provisional IRA sehr rasch und deutlich als Sieger aus der Spaltung hervor. Dies auch aufgrund der Deutungshoheit einzelner PIRA-Kader, die sie mittels Autobiografien usw erlangten. Das Narrativ der einzigen, kämpfenden Gruppe wurde schon seit der Gründung bemüht und bis zum „Ende“ der Rivalität weiter bedient.
Der Split innerhalb der Bewegung konnte den aufkommenden Widerstand jedoch nicht bremsen. Im Gegenteil die Jahre nach dem Ausbruch der Troubles bis 1973 waren die ereignisreichsten in den gesamten 40 Jahren des Konflikts. Nur schon ein Blick auf das in Belfast sehr bekannte „The Troubles Magazin“, ein empfehlenswertes Heft(chen), das von lokalen, historisch Interessierten Personen herausgebracht wird, spricht (wort)wörtlich Bände. Die Publikation sammelte mittels Zeitungsberichten und anderen Quellen alle Ereignisse der Troubles für die einzelnen Jahre. Die Jahre 70-72 brachte die breiteste Dichte an Ereignissen zu Tage. Das blutigste Jahr 1972 kommt sogar mit einem Heft pro Monat daher. Auf einer Seite finden sich beispielsweise im Jahr 1970 folgende Meldungen: So gewann die Bürgerrechtlerin Bernadette Devlin als Parlamentsmitglied 1970 die Umfrage vom Sunday Independent zur Frau/Mann des Jahres Irlands. Gefolgt von Riot Meldungen in Derry am selben Tag. Aber auch Séan MacStiofáin darf sich am 12. Januar soweit äußern, dass die Trennung von Sinn Féin die Aktionsfähigkeit der IRA nicht betreffen würde. Und auch hier findet sich das Narrativ zur Trennung. Die IRA-Leute aus dem Norden seien sauer gewesen, dass die Führung aus dem Süden keine Waffen zur Verteidigung liefern konnte. Und sogleich folgen dann die Meldungen über Waffenraube und Versuche ebensolcher. Die Dichte an Kurzmeldungen in kürzester Zeit ist bemerkenswert.1 Brian Hanley und Scott Millar erwähnen in ihrem lesenswerten Buch über die Offical IRA und die Workers Party, dass die Legende von IRA= „I Ran Away“ nach dem Beginn der Troubles einzig und allein aus Joe Cahills Mund und Schriften kam. Es hätten sich keine Bilder oder Zeugen eines solchen Spruches auf Wänden in Belfast gefunden. Diese These ist schwierig zu widerlegen und gehört wohl zur Rubrik: Die Geschichte wird immer von den Siegern geschrieben.
Der Beginn der 70er Jahre bringt einen rasanten Wechsel der Politik mit sich. Die republikanische Seite versuchte auch in Form der Provos zu Anbeginn nur eine Defensive Haltung einzunehmen. Die britischen Soldaten, welche ab 1969 im Norden stationiert wurden, waren zu Anfangszeiten keine Feinde. Im Gegenteil, die Bevölkerung in den katholischen Ghettos sahen die Soldaten als Beschützer der Viertel an. Soldaten wurden mit Tee und Biskuits hofiert und die IRA hütete sich davor die wenigen Waffen auf sie zu richten. Im Hintergrund wurden Wege und Möglichkeiten gesucht das Arsenal an Waffen möglichst schnell und effektiv aufzustocken. Dies gelang, insbesondere auch durch traditionell gute Verbindungen in die USA. Durch diese Kontakte wurden zu Beginn der PIRA diverse Waffen nach Irland geschmuggelt. Die ländlichen IRA-Einheiten verhielten sich, im Gegensatz zu den städtischen Pendants, weniger klar nach Linie. Die ländlichen Einheiten orientierten sich häufig an der bestmöglichen Waffenquelle. Doch auch hier sollte sich, wenn auch teils deutlich später, eine klare Dominanz der Provos durchsetzen.
Joe Cahill beschreibt die Anfänge der Provos so: „Defence was the main reasons fort he Army’s existence at the time and there was little obvious evidence of an offensive against the British. Soon, however, some provoactive operations were carried out by the IRA, although it was not generally known that they were carried out by republicans.“
Die Urheberschaft dieser Aktionen wäre den meisten der IRA-Freiwilligen und der Öffentlichkeit unbekannt geblieben, wäre Michael Kane (New Lodge) nicht an einer vorzeitigen Bombenexplosion verstorben. Kane wird allgemein als der erste IRA-Volunteer welcher im aktiven Dienst getötet wurde angesehen.
Cahill erwähnte in seiner Autobiographie Pläne von Waffenlieferungen konservativer irischer Politiker*innen an die IRA. Diese aber nur in klarer Abgrenzung zur marxistischen Official IRA. Zu diesen kam es jedoch nie und noch heute schämen sich Parteinachkommen aufgrund solcher Pläne.
Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich der Norden Irlands von einer Konflikt- zu einer Kriegszone. Bereits im April 1970 kamen die berühmten Armalite Sturmgewehre (AR15 und AR18) aus der USA in Irland an. Auch hier wurde auf die Unterstützung alter Veteranen zurückgegriffen So beteiligten sich IRA-Volunteers aus den 20er Jahren wie z.B. Michael Flannery, Jack Magowan und Jack McCarthy an der Organisation und Planung dieser Schmuggelaktionen. Im Norden Irlands wurden zur gleichen Zeit strengere Ankündigungsvorschriften für Demonstrationen und Märsche verordnet. Diese konnten weder unionistische Paraden noch Riots in Armagh, Derry oder Lurgan verhindern. In Belfast kam es nach dreitägigen Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten zu den ersten Angriffen auf britische Soldaten. Nationalisten aus West-Belfast griffen die Soldaten mit Molotowcocktails an. Die Soldaten antworten mit CS-Gas. Innerhalb der Provos kam es zu intensiven Debatten über die Mittel und die Ziele möglicher Angriffe. Billy McKee war der Meinung die britischen Soldaten müssten direkt mit Waffen angegriffen werden. Andere Provos konnten ihn zu diesem Zeitpunkt noch stoppen. Fra McCann, heute Sinn Féin Abgeordneter im Westen von Belfast beschrieb die Situation folgendermassen:
„A lot of people were under the fals impression, and the Church played a big part in it, saying that the British were in to protect the nationalists. But if anybody looks back on it now, the British were here to uphold the state that they had imposed on the nationalist population. The RUC were stretched to the full limit. They were almost near breaking point. And if it went on any longer, the whole thing would have collapsed. So the British cam over to prop up that state.“
Diese Beschreibung folgt sicherlich einer gewissen politischen Erfahrung und Einstellung. Eine weitere, unabhängigere Quelle äusserste sich folgendermaßen:
„…It was an interesting situation because we had been at war with the police. That’s what it came down to. And then these guys arrived and suddenly the cops are pulled right out of it and not allowed to do anything unless they’re accompanied by the Brits and whoever else in charge. We had seemed to win a victory, and the Brits saying we’re in this.“
Die zweite Beschreibung endet in einer nüchternen Erklärung, wieso die Person nach dem weiteren Handeln der Briten, der IRA beitritt. Gemäss eigenen Aussagen diverser Führungspersönlichkeiten, treten junge Menschen in Massen der IRA bei. Damals können noch beide Fraktionen von diesem Zulauf profitieren. Dies sollte sich in Zukunft jedoch ändern. In den grösseren Städten existierten in der Regel jeweils zwei Fraktionen der IRA und von Sinn Féin. In den ländlichen Regionen behält die Official IRA für kurze Zeit die Oberhand, verschwand danach aber praktisch vollständig. Diese Trendwende ergibt sich nicht durch die Trennung einzelner Ortssektionen, sondern durch Fraktionswechsel ganzer Gruppen.
Innerhalb der Provisonal IRA vollzog sich zunehmend ein Wandel. Von defensiven Aktionen sah man zusehends ab und wagte stattdessen den Angriff. Der Paradigmenwechsel wurde durch entsprechende Repressionsaktionen der britischen Armee zunehmend verstärkt. Insgesamt fielen in diesen Zeiten aber auch viele Zivilisten dem Konflikt zum Opfer. Schon früh wurde klar, wie sich die britische Armee verhalten würde. Nach diversen Riots wurde von der Armee verlautbart, dass Petrol Bombers (Molotowcocktail-Werfer*innen) mit scharfer Munition beschossen werden. Nach Riots zwischen Unionisten/Loyalisten und Republikanern/Nationalisten erfolgte am 3. Juli 1970 ein Einsatz der britischen Truppen in den Lower Falls (West-Belfast). Hierbei kam es zu massiven Riots innerhalb der Gegend. Auf einen Schusswechsel folgte massiver CS-Gas Einsatz durch die Armee. Hierbei wurden im Verlaufe von 36 Stunden 2 Bewohner und ein freier Fotograf erschossen. Ein weiterer Anwohner wurde von einem gepanzerten Fahrzeug überfahren. Bei den sogenannten «Falls Curfew» kamen schlussendlich 5 Zivilisten ums Leben. Rund 300 Republikaner*innen werden verhaftet. Frauen aus dem republikanischen Viertel Andersonstown gelingt es schliesslich,die Umlagerung nach drei Tagen zu durchbrechen.
Beim oben erwähnten Vorfall handelt es sich um ein Viertel, in welchem die OIRA traditionell stark verankert war und es teilweise bis heute noch ist. Dass Frauen aus dem traditionell starken PIRA Viertel Andersonstown die Blockade der Viertel beenden, spricht Bände. Die damaligen Trennlinien sind teilweise noch fliessend. Es hat sich noch keine der beiden Organisationen durchgesetzt. Im Laufe des Jahres zeichnete sich eine Vorherrschaft ab. Weitaus schlimmer, so wurden die Waffen vermehrt auch gegeneinander erhoben. Dabei kam es zu massiven Brüchen innerhalb von Familien, Freunden, Genoss*innen und so weiter. Die dabei gezogenen Trennlinien wurden mehrheitlich sehr konsequent durchgezogen. Dabei spielten die Zugänge zu neuen Waffen oder auch Waffendepots im Allgemeinen, immer wieder eine wichtige Rolle. Auch kam es zu Angriffen vor Pub’s oder Lokalitäten, welche einer der Parteien zugeschrieben wurde.
Trotz aller Feindseligkeiten gingen die beiden IRA Gruppen aktiv in die Offensive. Diese Offensive wird im nächsten Teil erläutert.
1Vgl. The Troubles: January – June 1970