Gastbeitrag des SDS Bayreuth
Am 25.7.23 beginnen in Bayreuth die seit 1876 stattfindenden alljährlichen Wagnerfestspiele. Es ist das kulturelle Highlight, auf welches sich die kleine Provinzstadt das ganze Jahr vorbereitet. Denn einmal im Jahr darf Bayreuth Weltstadt sein, ein Privileg, was sonst die wenigsten Dörfer auf der Welt genießen dürfen. Einmal im Jahr reisen nicht nur aus ganz Deutschland, nein, aus der ganzen Welt Teile der Bourgeoisie und ranghohe Politiker*innen an, um Urlaub auf Katharina Wagners Bauernhof zu machen. Doch das Wacken der herrschenden Klasse wurde dieses Jahr von mehreren Skandalen erschüttert und das saubere Bild der ruhigen Hinterland-Kleinstadt bekam durch mehrere Aktionen Risse.
Seit Jahren hatte es in Bayreuth keinen großen Protest mehr gegen die Festspiele gegeben, warum auch? Schließlich ist die Festspielsaison der für die Stadt kulturelle und für die Gastronomie wirtschaftliche Höhepunkt des Jahres. Lediglich ein paar Klimaaktivist*innen ließen sich in den Jahren zuvor beim großen Schaulaufen am Roten Teppich kunstvoll zu Boden fallen und wiesen durch ein sogenanntes Die-in darauf hin, dass wir bald alle sterben werden, wenn die herrschende Klasse nichts tut bzw. weiterhin rücksichtslos schaltet und waltet. Man könnte sogar den Eindruck gewinnen, ganz Bayreuth freut sich auf die Festspiele und sei mächtig stolz auf den großen Sohn der Stadt, Richard Wagner. Ganz Bayreuth? Nein! Eine kleine linke Gruppe wagte es, sich mit dem Thema Wagner und den Festspielen kritisch auseinanderzusetzen. Der SDS Bayreuth recherchierte zur problematischen Vergangenheit Wagners und der Festspiele. Dies resultierte in einer Infobroschüre, die den ganzen antisemitischen Moloch Wagner zusammenfasst und mit dem Klassenfest der Herrschenden abrechnet.
Doch zunächst einmal zu Wagner. Wenn man Wagner hört, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Mann ein Größenwahnsinniger war. Denn Wagners Musik strotzt nur so von nationalistischem Germanenkult und Größenwahn. Kein Wunder, dass Hitler Wagner verehrte und ein enger Freund seiner Familie war. Wagners Musik und Antisemitismus waren Teil des ideologischen Rahmens der Hitlerfaschist*innen, welche Millionen von Menschen systematisch folterten und ermordeten. Immer wieder wird versucht, Wagners Musik und Antisemitismus voneinander zu trennen, um Wagners Werke aufführbar zu machen.
„Die schmerzlichen Fragen zur Rolle von Wagners Musik im NS-Staat und zum Zusammenhang von Wagners Rassenantisemitismus und Auschwitz werden verdrängt.“
– Gottfried Wagner (Urenkel Richard Wagners)
Auch wenn sich öffentliche Medien breit gefächert mit Wagners Musik, seinem antisemitischen Gedankengut und der späteren Involvierung der Wagner-Familie im NS-Regime auseinandersetzen, findet die Stadt Bayreuth keinen kritischen Umgang mit dem Erbe ihrer Berühmtheit. Die Stadt Bayreuth inszeniert zwar in geringem Maße eine scheinkritische Auseinandersetzung, diese dient aber nur dazu, das Stattfinden der Festspiele zu legitimieren. Auch ist das Stadtbild von Bayreuth geprägt von heldenmütigen Wagner-Statuen und Wahrzeichen, die nicht nur eine romantische Verklärung der Geschichte, sondern sogar eine Verherrlichung des antisemitischen Ideologie Wagners und der nationalsozialistischen Vergangenheit Bayreuths bis in die Gegenwart darstellen. Die (Mit-)Täterschaft der Familie Wagner an der Machtübertragung an Hitler und die Nationalsozialisten, der Ausbreitung des NS-Regimes und der Shoah (האוש) werden unter den braunen Teppich gekehrt.
„Richard Wagner? Ein strahlender Giftschrank, den es verantwortlich zu entsorgen gilt.“
– Gottfried Wagner (Urenkel Richard Wagners)
Richard Wagner und der Antisemitismus
Komponist, Genie, Wahnsinniger, Revolutionär, Antisemit … Es gibt viele unterschiedliche Beschreibungen Richard Wagners, dem weit verehrten Begründer der Bayreuther Festspiele. Mit Bezug auf den Antisemiten Wagner hält sich bis heute ein hartnäckiger Mythos: „Ach, so schlimm antisemitisch war Wagner doch auch nicht! Das war eben der normale Zeitgeist“.
Nur der Zeitgeist? In seinem Pamphlet von 1850 „Das Judenthum in der Musik“ schreibt er:
„Der Jude an sich sei „unfähig“, sich künstlerisch auszudrücken, weder durch seine äußere Erscheinung noch durch seine Sprache und am allerwenigsten durch seinen Gesang.“
„… die jüdische Rasse für den geborenen Feind der Menschheit und alles Edlen in ihr: daß namentlich wir Deutschen an ihnen zugrunde gehen werden, ist gewiß, und vielleicht bin ich der letzte Deutsche, der sich gegen den bereits alles beherrschenden Judaismus
als künstlerischer Mensch aufrechtzuerhalten wußte.“
Damit bekundet Wagner schon frühzeitig seine antisemitische Position, in dem er, nach paradoxen konstitutiven Rassismusparadigmen, jüdischen Menschen die Fähigkeit der kulturellen Entfaltung abspricht und sogleich den „zersetzenden Einfluss der Juden auf die deutsche Kultur“ heraufbeschwört. Diesem zerstörenden Einfluss von „Jüd*innen“ gegenüber „Deutschen“ könne nur durch die „Erlösung durch (Selbst-)Vernichtung“ entgegengekommen werden. Dies drückt er deutlich mit der an jüdische Menschen gerichteten menschenverachtenden Prophezeiung zum Ende seines Pamphlets aus:
„Aber bedenkt, dass nur Eines eure Erlösung […] sein kann: […] der Untergang!“
Aufgrund Wagners wirkungsmächtiger Position in Politik und Gesellschaft ist seine Schrift „Das Judenthum in der Musik“ nicht etwa nur ein bloßes Nebenprodukt des „antisemitischen Zeitgeists“, sondern Wagner selbst ist zentraler Vordenker eines modernen Antisemitismusverständnisses, das sich nach Gründung des Deutschen Reichs im Jahre 1871 drastisch ausweitet. In den 1870er Jahren sehen sich die Frischvermählten, Richard und Cosima Wagner (geb. Liszt), gemeinsam am „Anfang eines Kampfes“ gegen das „unangenehm [jüdische] Fremdartige“, das nach ihren Vorstellungen in keiner Weise zum neu gegründeten deutschen Reich dazugehören könne.
Richard Wagner stirbt 1883, doch sein geistiges, antisemitisches und menschenfeindliches Erbe dient vielen seiner politischen Nachkommen, dem Rassentheoretiker Edward Houston Chamberlain und Adolf Hitler, als ideologisches Vorbild. Die musischen Werke Wagners finden später hohen Anklang unter den braunen Machthabern, so dass die klanggewaltige Tonsprache Wagners einen prägnanten Teil der nationalsozialistischen Propaganda, die den Aufbau einer nationalsozialistischen Diktatur und die komplette Zerstörung von jüdischem Leben anstrebt, bildet. Der Holocaust, also die „Endlösung der Judenfrage“, wie die Nationalsozialisten seit Juli 1941 ihr Ziel der Vernichtung von Millionen jüdischen Menschen in Europa nannten, war keine krude Fantasie, die ganz plötzlich in Nazi-Köpfen entstanden ist. Bereits im Kopfe des glühenden Antisemiten Wagner waren dies bereits konkrete Vorstellungen, die letztlich von den Nazis umgesetzt wurden.
Die Familie Wagner, Hitler und der Nationalsozialismus
Ohne die wirkungsmächtige Unterstützung von Kapital, Unternehmer*innen, aber auch Wissenschaftler*innen, Künstler*innen und Kulturschaffenden hätten Hitler und der Nationalsozialismus nicht groß werden und so lange überleben können. Zu deren engem Unterstützerkreis gehörte die Familie Wagner seit der ersten Stunde.
Nach dem Tod Richard Wagners in den 1880er Jahren baut seine Ehefrau Cosima Wagner ab den 1920er Jahren eine enge Freundschaft zwischen Adolf Hitler und der Familie Wagner auf. Bei einem Tässchen Tee oder Kaffee im Haus Wahnfried (Wohnhaus der Familie Wagner) sinnieren die Wagners mit Familienfreund Hitler über die systematische Auslöschung von jüdischen Menschen und treffen Vorbereitungen zur Etablierung der NS-Diktatur. Noch zu Zeiten der Weimarer Republik entwickelt sich mit dem berühmt-berüchtigten sogenannten „Bayreuther Kreis“ um Hitler, Cosima Wagner und Houston Stewart Chamberlain ein völkisches Netzwerk für Nationalsozialisten und einflussreiche Antisemiten mit Bayreuth als Zentrum.
Vor allem zum in die Wagner Familie eingeheirateten Rassentheoretiker Chamberlain (Ehemann von Eva Wagner) pflegte Hitler vor seiner Machtergreifung eine enge private und politische Freundschaft. Unter dem Deckmantel der „Wissenschaftlichkeit“ schuf der Biologe, Historiker und leidenschaftliche Wagnerianer die ideologische Grundlage für Hitlers Antisemitismus und die Aufforderung, die deutsche Kultur vor jeglicher „rassischer Durchmischung“ sowie jüdischen Einflüssen „zu schützen“. Chamberlains Gedankengänge zum politischen Kampf, zur Rassenpolitik und dem Holocaust, veröffentlicht in seinem berühmtesten Werk „Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts“ (1899), verarbeitet Hitler in seiner Bekenntnisschrift „Mein Kampf“ (1925).
Auch zu den überzeugten NSDAP-Anhängern Siegfried (Sohn von Richard und Cosima Wagner), seiner Frau Winifred Wagner (geb. Williams-Klindworth) sowie zu den gemeinsamen vier Kindern (insbesondere zu Wolfgang, Wieland und Verena) bestand ein inniges Verhältnis. Nicht nur die gleichen menschenfeindlichen Rassenideologien und der Judenhass wurden geteilt, sondern die Wagners waren im kleinen, beschaulichen Bayreuth eine Art „Ersatz-Familie“ für Hitler.
„Wir gehörten mit zu denen, die unentwegt an den Führer glaubten, an die nationalsozialistische Idee glaubten und haben, ich kann wirklich sagen, durch dick und dünn zu ihm gestanden.“
– Winifred Wagner
Auch spielt die Familie Wagner die entscheidende Rolle bei dem KZ-Außenlager in Bayreuth, welches ohne Unterstützung der Familie nie eingerichtet worden wäre. Der Leiter des KZs, SS-Offizier Bodo Lafferentz, verheiratet mit Verena (der Tochter von Winifred und Siegfried), führte zusammen mit seiner rechten Hand, Schwager Wieland Wagner, die KZ-Außenstelle in Bayreuth.
Die Festspiele
Erstmalig fanden die Bayreuther Festspiele unter der Leitung von Richard Wagner selbst 1876 statt und entwickelten sich mit Finanzspritzen des deutschen Kaisers und Königs von Preußen, Wilhelm I., zu einer wichtigen Institution deutscher Opernkunst. Nach dem Tod Wagners übernimmt seine Frau Cosima, die sich selbst auch als „Gralshüterin“ verstand, die Festspiele und bewacht die Erbreihenfolge mit Argusaugen. Die Festspiele sollten unbedingt in der Hand des nationalistischen Kernes der Familie bleiben, so dass Isolde Wagner (später Beidler) aufgrund der anti-nationalistischen Aussagen ihres Ehemanns Franz Wilhelm Beidler aus dem engen Familienkreis ausgeschlossen wurde.
„Wenn im Nationalsozialismus überhaupt eine Ideologie, eine Gesinnung enthalten ist, so ist es zu einem erschreckend großen Teil Bayreuths Gesinnung.“
– Franz Beidler
Mit Cosimas Tod übernimmt kurzzeitig Siegfried die Leitung, verstirbt aber noch im selben Jahr, so dass ab 1930 nun seine Frau Winifred die Festspiele leitet. Bayreuth und die Festspiele werden nach Hitlers Machtübernahme 1933 zum zentralen Aushängeschild des „deutschen“ arischen Staates und zur zentralen kulturellen NS-Propaganda-Maschine. Deshalb sind die Stadt Bayreuth, die Wagners und der Nationalsozialismus nicht voneinander zu trennen. Ganz im Gegenteil. Vielmehr ist auch die Stadt Bayreuth tief in den brauen nationalsozialistischen Wagner-Sumpf verwoben. So entwickelt sich Bayreuth ab den 1920er Jahren zur geistigen und politischen „Hochburg eines mit Bildungsanspruch verbundenen Antisemitismus“. Die gesamte Region um Franken wird zur ideologischen und politischen Basis des nationalsozialistischen Reiches. So bezeichnete Hitler Bayreuth und Nürnberg als seine Lieblingsstädte. Schon lange vor den NS-Rassengesetzen wurden unter der Leitung Cosima Wagners jüdische Musiker*innen strukturell aus dem Ensemble und Inszenierungen ausgeschlossen. Trotz der bedeutenden Rolle der Wagners im Nationalsozialismus bleiben das gesamte Vermögen und das Festspielhaus nach Kriegsende in den Händen von Winifred Wagner. Anstatt einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Nazi-Erbe der Wagners in der neu gegründeten Bundesrepublik folgt eine ernüchternde Rezeption der Mittäterschaft, bei der einfach so getan wird, als ob „gar nichts“ passiert wäre. Die exakt gleichen Nazi-Wagners, die Hitler und die NSDAP in Bayreuth herzlich willkommen geheißen hatten, begrüßten nun nach Kriegsende die Bundespräsidenten und Bundeskanzler der Bundesrepublik. Wolfgang und Wieland Wagner, die noch ein paar Jahre zuvor Hitler liebevoll als ihren „Onkel Wolf“ bezeichneten, verhinderten und untersagten ab dieser Zeit jegliche als „politisch“ klassierte Aufarbeitung. Bis heute hat sich, unter Leitung von Katharina Wagner (Tochter Wolfgang Wagners), daran nichts getan. Eine Entnazifizierung hat bei den Wagner-Festspielen nie stattgefunden.
Erst 2013 wurde Hitler die Ehrenbürgerschaft durch den Bayreuther Stadtrat entzogen. Die Abgründe der gesamten völkischen Deutschtümelei sind in Bayreuth überall zu finden und werden von der Stadt und der Familie Wagner weiterhin unter den brauen Teppich gekehrt. Statt einer progressiven und offensiven Auseinandersetzung mit dem eigenen Nazi-Erbe verleugnen die Stadt und die Wagners weiterhin die jeweils eigene Rolle im NS-Staat.
Im oberfränkischen Outback ließ es sich bisher für die herrschende Klasse unbeschwert feiern. Und so entwickelten sich die Festspiele zu einem beliebten Termin für Industrielle, Politiker*innen und die sogenannte künstlerische Elite, an dem sie sich aufführen konnten wie sie wollten. Es verwundert daher nicht, dass es am Festspielhügel auch zu sexuellen Übergriffen kommt. Das Einzige, was verwundert, ist, dass dies erst in diesem Jahr offiziell wurde. Viele Studierende und geringfügig Beschäftigte aus Bayreuth arbeiten während der Festspielzeit in der Gastronomie am Hügel, z.B. als Kellner*innen. Ausnahmslos alle, mit denen der SDS Bayreuth gesprochen hat, schilderten, dass sie selbst Zeugen oder sogar Betroffene von sexuellen Übergriffen oder grenzwertigen Anmachen gewesen seien. Auf dem Festspielhügel wird gegrapscht und laut und offen sexualisiert. Ein Kellner schilderte, dass ältere Wagnerianerinnen männliche Kellner mit Selbstverständlichkeit offen dazu aufforderten, abends zu ihnen ins Hotel zu kommen. Dabei werden diese auch oftmals ungefragt angefasst. Schlimmer ergeht es weiblichem Personal, das teilweise sogar auf dem Gelände von notgeilen Wagnerianern verfolgt wird. Der Festspielhügel und der Staatsempfang sind auch Orte, an denen die herrschende Klasse Politik macht. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Franz Josef Strauß den Bau des Bayreuther Universitätscampus bei den Festspielen beschloss. Solche Termine bieten Gelegenheiten, an denen Vertreter*innen des kapitalistischen Staats, der Industrie und der künstlerischen Elite gemeinsam ihr Bündnis bekräftigen und ungezwungen Stoßrichtungen für künftige politische Entscheidungen auszumachen. Die Last des Ganzen sowie die Kosten des Staatsempfangs trägt in jedem Fall die arbeitende Klasse. Während die Inflation, die Energiekrise und die Auswirkungen der Corona-Pandemie etliche Haushalte in Existenznot bringen, feiert die herrschende Klasse mit allem Drum und Dran vor allem sich selbst. Es ist ein Hohn, dass Claudia Roth von den Grünen, Ministerin für Kultur und Medien, vor Journalist*innen angibt, angesichts des Krieges in der Ukraine werde mit den Bayreuther Festspielen die Kultur verteidigt. Es ist ein Hohn, dass Katharina Wagner, die neben ihrer Tätigkeit als Festspielchefin als knallharte Vermieterin in Bayreuth auftritt, welche ihre Mieter*innen drangsaliert, scheinheilig besorgt vor dem Ansteckungspotenzial auf dem Staatsempfang warnt.
Aufgrund all dieser Tatsachen entschloss sich der SDS Bayreuth im letzten Jahr dazu, zum Auftakt der Bayreuther Festspiele am 25.07.2022 eine Demonstration mit dem Titel „Der Trip der Walküren – Wagner wegbassen“ durchzuführen. Das Konzept der Demo sah einerseits vor, einen politischen Protest gegen das Totschweigen des Antisemitismus der Familie Wagner und das Fest der Bourgeoisie zu organisieren, und andererseits, eine links-progressive Gegenkultur gegen die Festspiele an sich aufzubauen. Dazu versammelten sich am Montag den 25.07.2022 abends ca. 100 Demoteilnehmer*innen am Bayreuther Marktplatz, um von dort aus tanzend zur ersten Zwischenkundgebung am Rand der Sicherheitszone rund um das Festspielhaus zu ziehen. Die Festspiele sind aufgrund der hohen Prominenz schwerstens gesichert. Es gibt jedes Jahr zwei Sicherheitszonen, eine am Festspielhaus und die andere um den Staatsempfang am neuen Schloss, die ohne Genehmigung oder Festspielkarte nicht betreten werden dürfen. Zu ihrem Schutz fuhr die Bourgeoisie zahlreiche Polizeieinheiten, unter anderem das USK, sowie Scharfschützen auf. Am Tag des Auftakts wurde vormittags sogar ein Wasserwerfer in Bayreuth gesichtet, welcher aber bei der Demonstration nicht anwesend war. Um eine klare Gegenkultur zur vor Pathos triefenden Wagnermusik aufzubauen, legten auf der Tanzdemo drei Bayreuther DJs auf und brachten die Demoteilnehmer*innen in Stimmung. Obwohl es anfangs Bedenken gab, ob durch den Partycharakter die Demonstration nicht an politischer Wirkmächtigkeit einbüßen würde, ging das Konzept, auch dank der guten Absprache, voll auf. Während der Laufstrecke wurde getanzt und im Takt zur Musik Parolen gerufen, während bei den vier (Zwischen-)Kundgebungen spannende Reden gehalten wurden. Die Abschlusskundgebung fand direkt im Vorgarten von Haus Wahnfried, dem Stammsitz der Familie, am Rand des Staatsempfangs statt. Nach den letzten Reden wurde dort noch für ca. eineinhalb Stunden getanzt.
Insgesamt war die Demonstration trotz des zeitlich ungünstigen Termins ein voller Erfolg. In diesem Jahr wurde das „Bündnis Festspieldämmerung“ ins Leben gerufen, bestehend aus der Organisierten Autonomie, den Prolos, der APPD, der Bandiera Rossa Ratisbona, dem Solidarischen Aufbruch Straubing, der Sozialrevolutionären Aktion Regensburg, der Antifaschistischen Aktion Regensburg, den Antifaschistischen Aktionen aus Kulmbach und Bayreuth, sowie dem SDS Bayreuth. Dieses Bündnis ruft am 25.7.2023 um 18 Uhr zur Demonstration „Der fliegende Klassenkämpfer“ am Tekirdagplatz in Bayreuth auf. Denn ein großer linker Gegenprotest ist wichtig, da die Demonstration des SDS Bayreuth 2022 nicht die einzige war: So mobilisierte der Neonaziguru Sven Liebich ca. zehn seiner verwirrten Anhänger*innen nach Bayreuth und demonstrierte als sogenannte Merkeljugend durch die Stadt. Gleichzeitig marschierte abends das aufgebrachte Kleinbürgertum als Querdenker*innen und verbreitete idealistische und unwissenschaftliche Pseudokritik am eigenen Staat. Ein durchaus positiver Lichtblick in der Gesamtsituation in der Stadt war, dass in den frühen Morgenstunden Klimaaktivist*innen die Bäume an der Auffahrt zum Festspielhaus besetzten und dadurch die Staatsmacht in Bedrängnis brachten. Die linken Kräfte mussten sich 2022 die Straßen Bayreuths als Demonstrationsplatz erkämpfen. Es ist von größter Wichtigkeit, dass sich in den kommenden Jahren eine materialistische Kritik an Wagner und den Festspielen durchsetzt und sich ein fortschrittlicher, also kommunistischer Widerstand gegen das Fest der herrschenden Klasse etabliert. Wir dürfen das politische Schlachtfeld Bayreuth nicht den Idealist*innen und den Neonazis überlassen. Es ist klar: Die linke Bewegung liegt hierzulande momentan am Boden. Die fortschrittlichen Kräfte sind zurzeit nicht in der Lage, große Streiks auf die Beine zu stellen. Von daher muss der Klassenkampf auch auf andere Weise geführt werden, indem wir beispielsweise die herrschenden Klasse dort bedrängen, wo sie sich wohl fühlt und feiert. Ein solches Aktionsfeld bietet Bayreuth alljährlich zur Festspieleröffnung und das sollte genutzt werden.